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Horst Bayrhuber, Ulrich Kull (Hrsg.) zusammen mit Ulrich Bäßler, Hans Hopmann und Wolfgang Rüdiger: „Biologie Linder“

21 Aufl. Hannover: Schroedel, 1998


Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Junker, Harald Binder:

Ein erster Eindruck

von Reinhard Junker

Dieses Jahr erschien nicht nur “Evolution – ein kritisches Lehrbuch” in völliger Neubearbeitung, sondern auch der altehrwürdige “Biologie-Linder” in der 21., neu bearbeiteten Auflage. Wort-und-Wissen-Freunde interessiert darin natürlich besonders das Kapitel über Evolution. Eine erste Durchsicht zeigt, daß die im W+W-Diskussionsbeitrag 1/1993 (“Fehler in Evolutions-Lehrbüchern?”) angemerkten einseitigen Darstellungen inhaltlich nicht geändert wurden. Es fehlen darüber hinaus auch in der neuen, überarbeiteten Auflage jegliche Hinweise darauf, daß es kritische Aspekte zur Evolutionslehre gibt. Stattdessen wird der Eindruck vermittelt, bei der Evolutionstheorie handle es sich um eine mit den Fakten rundum stimmige Erklärung.

“In keinem Fall wurde die Evolutionshypothese falsifiziert.”

Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, wenn im Abschnitt über “Naturwissenschaftliches Weltbild” behauptet wird, daß kein Ergebnis der Biologie im Widerspruch zur Hypothese der Evolution stehe (S. 455). Dagegen seien mit dieser Hypothese zahlreiche Voraussagen gemacht worden, die in keinem Fall die Evolutionshypothese falsifiziert (widerlegt) hätten.

Ist die Evolutionshypothese überhaupt falsifizierbar?

Man muß hier nachfragen: Was würde denn die Evolutionshypothese falsifizieren? In der Vergangenheit wurden durchaus (wenn auch selten) Daten genannt, die zu einer Falsifizierung führen könnten. Doch, wenn solche Daten dann tatsächlich gefunden wurden, führte das nicht zur Widerlegung, sondern zur Modifizierung der Evolutionstheorie. In schwereren Fällen wird auch gerne darauf verwiesen, daß man noch zu wenig Daten habe, um das betreffende Phänomen erklären zu können, oder einfach abwarten müsse, bis in Zukunft neue Erkenntnisse erzielt worden seien.

Zwei Beispiele: 1. Kein geringerer als Charles Darwin hat das systematische Fehlen evolutionär passender Übergangsformen beklagt und vorhergesagt, daß solche Lebewesen in der Zukunft gefunden werden müssen, wenn seine Theorie nicht zu Fall kommen soll. Diese zu erwartenden Übergangsformen wurden in der Regel nicht gefunden (vgl. Abb. 1).1 Die Evolutionstheorie geriet dadurch aber nicht ins Schwanken, sondern wurde von manchen Biologen erheblich modifiziert2 (viele hielten selbst eine Anpassung der Evolutionstheorie nicht für erforderlich).

 

Abb. 1: Typisches Beispiel für das systematische Fehlen evolutionärer Übergangsformen: Fossildokumentation der Paarhuferfamilien. Die Überlieferung fossiler Reste reißt ohne Verbindungen durch Übergangsformen zwischen den Familien ab. (gestrichelte Linien). Im Tierreich sind Familien sehr häufig mit Grundtypen identisch. Die meisten Familien sind ausgestorben. Nur die bekannteren heute lebenden Familien sind beschriftet. (Aus ‘Evolution – ein kritisches Lehrbuch’)

 

2. Der genetische Code galt lange Zeit als ausnahmslos für alle Lebewesen gültig. Das evolutionstheoretische Argument lautete: Eine Veränderung des genetischen Codes sei im evolutionären Rahmen faktisch unmöglich (sie könnte sich nicht durchsetzen, da sie viele funktionslose Proteine zur Folge haben müßte). Umgekehrt sei die (vermeintliche) Tatsache der Universalität des Codes ein herausragender Beleg für die Abstammung aller Lebewesen von einem einzigen Vorfahren: der einmal entwickelte3 Code sei auf alle späteren Lebewesen vererbt worden und habe danach nicht mehr verändert werden können. Man hätte früher also gesagt: Eine Abwandlung des genetischen Codes steht zumindest im Widerspruch zur Evolutionshypothese.

Mittlerweile sind so viele Abwandlungen des genetischen Codes entdeckt worden, daß eine vielfach unabhängige Änderung des Codes in verschiedenen evolutionären Linien postuliert werden müßte4 – meines Erachtens für die Evolutionslehre schon fast ein GAU. Doch es bleibt dabei: Nichts spricht im “Linder” gegen Evolution. Dort wird dazu im Genetik-Kapitel lediglich festgestellt: “An der grundlegenden Universalität ändern einige geringfügige Äbweichungen nichts” (S. 331).

Falsche Eindrücke und Irreführungen

Kurzum: Die Behauptung, die Evolutionshypothese sei nie falsifiziert worden, ist leer, mindestens so lange nicht klar angegeben wird, wodurch sie denn falsifizierbar wäre. Walter J. ReMine nennt in seinem sehr anregenden Buch “The Biotic Message”5 zahlreiche Beispiele, wonach Daten, die vor ihrem “Auftreten” als falsifizierend gewertet wurden, danach nur zur Anpassung der Evolutionshypothese an die neue Situation geführt haben.

Es wird also mit dieser Behauptung der Nicht-Falsifizierung der Evolutionshypothese der falsche Eindruck erweckt, es sei im Wesentlichen alles klar. Tatsächlich verbirgt sich hinter diesem Satz die Tatsache, daß die Evolutionslehre gegen Widerlegung immunisiert wird. Es ist daher nur folgerichtig, daß der Evolutionslehre als Gesamtanschauung von wissenschaftstheoretischer Seite gelegentlich der wissenschaftliche Charakter nur eingeschränkt zugestanden wurde.

Ein weiteres gravierendes Beispiel einer Irreführung ist folgende Passage: “Gelegentlich wird die Ansicht vertreten, beim Evolutionsgeschehen handele es sich um experimentell nicht zugängliche Ereignisse, welche die Naturwissenschaft prinzipiell nicht behandeln könne. Dies trifft nicht zu, denn die Artbildung – die den Evolutionsvorgängen zugrunde liegt – ist ein häufiger und in einigen Fällen (bei Pflanzen und Mikroorganismen) beobachtbarer und experimentell nachvollzogener Vorgang” (S. 455). Ein Teil der zitierten Sätze stimmt: Artbildung ist empirisch nachgewiesen. Doch solche Vorgänge beweisen nur Mikroevolution und sind auch mit der Grundtypenbiologie (Schöpfungslehre) voll kompatibel. Die Frage nach der experimentellen Überprüfbarkeit evolutionärer Vorgänge zielt aber – davon abgesehen – darauf, daß der angenommene Evolutionsverlauf vom Einzeller bis heute nicht beobachtbar, weil einmalig und vergangen, und daher experimentell unzugänglich ist. Und daran ändert die Beobachtbarkeit heutiger mikroevolutiver Prozese wie Artaufspaltungen in den Grenzen von Grundtypen nichts. Wieder wird also ein falscher Eindruck erweckt, hier nämlich, daß der historische Prozeß der hypothetischen Evolution mit empirischen Methoden der Naturwissenschaft überprüfbar sei. Doch das ist er genauso wenig wie der Schöpfungsakt Gottes.

Falsches über den “Kreationismus”

Die auf S. 456 folgenden Ausführungen über die Schöpfungslehre sind nicht nur irreführend, sondern teilweise sogar falsch. So wird behauptet, daß nach der Schöpfungslehre Mutation und Selektion nur Variationen innerhalb von Arten erzeugen. Wie oben erwähnt, wird dagegen in der Schöpfungslehre davon ausgegangen, daß es innerhalb von Grundtypen zu sehr viel Artbildung (vor allem durch Spezialisierung) kommt. Der Satz im “Linder”: “Die Lebewesen wurden in der jetzt bekannten Vielfalt geschaffen” ist also wieder irreführend; er würde zutreffen, wenn dies für “Grundtypen” (die “geschaffenen Arten”) gesagt würde. Doch die seit 20 Jahren in der deutschsprachigen Schöpfungsforschung vorgenommene Unterscheidung zwischen “Arten” und “Grundtypen” scheint den Autoren unbekannt zu sein.

Unerfreulich sind auch folgende Sätze: “Der Kreationismus erkennt die im Vorstehenden dargestellten Grundprinzipien der Naturwissenschaften nicht an und kann daher keine naturwissenschaftlichen Hypothesen liefern. Nimmt man eine Schöpfung im Sinne des Kreationismus an, so ist daraus keine falsifizierbare Hypothese abzuleiten; daher ist diese Ansicht wissenschaftlich leer.” Hier ist fast alles falsch. Die Schöpfungslehre arbeitet mit Hypothesenbildung, mit Vorhersagen schöpfungstheoretischer Theorien und ihrer Überprüfung und Korrektur usw. Beispielsweise wird vorhergesagt, daß als Grundtypen definierte Schöpfungseinheiten auch unter den heutigen Lebewesen abgrenzbar sind, daß es “programmierte Variabilität” innerhalb der Grundtypen gibt, daß die ursprünglichen Grundtypen (die “geschaffenen Arten”) genetisch polyvalent (vielseitig, flexibel) waren u.v.a. Alle diese Vorhersagen sind prüfbar, wurden Tests unterzogen und haben hier und da auch zu Modifizierungen der Grundtypenbiologie geführt.

Die Grundtypenbiologie arbeitet freilich in einem vorgegebenen Rahmen, nämlich dem der biblischen Überlieferung. Aber das ist nichts Besonderes, denn dies gilt unter veränderten Vorzeichen auch für die Evolutionslehre.6

Gesamteindruck

In “W+W-Praxistips 2”7 stellte Jethro Lamprecht fest, daß sich bei der Darstellung schöpfungstheoretischer Standpunkte seitens der Kritiker immer wieder ein vierfaches Schema feststellen läßt:

  1. Ein Teil der Darstellung ist zutreffend.
  2. Ein Teil ist falsch.
  3. Ein weiterer Teil beschreibt den Sachverhalt verzerrt und unfair.
  4. Die wichtigsten Argumente der Evolutionskritik werden verschwiegen.

Die Darstellung im “Biologie Linder” zum Kreationismus belegen diese Beobachtung auf eindrucksvolle, aber auch traurige Weise. Die Notwendigkeit, Aufklärungsarbeit zu leisten, ist offenkundig. Wenn Sie, liebe Info-Leserinnen und -Leser dazu beitragen wollen, könnten Sie dies beispielsweise dadurch tun, daß Sie das evolutionskritische Werk “Evolution – ein kritisches Lehrbuch” den Lehrern und Schulbibliotheken schenken, die Sie kennen. Das wäre sicher wirkungsvoller als Proteste beim Verlag oder den “Linder”-Autoren.8


Anmerkungen

  1. Ausnahmen wären gesondert in einzelnen zu diskutieren. Als Gesamteindruck bleibt bis heute das systematische Fehlen von evolutionär interpretierbaren Übergangsformen, das auch von vielen Evolutionstheoretikern ausdrücklich eingeräumt wird. (Vergleiche: Junker R & Scherer S (1998) Evolution – ein kritisches Lehrbuch, Giessen, Kapitel VI.13)
  2. Hierzu ist vor allem der sog. Punktualismus zu rechnen, wonach Evolution meistens sehr langsam verläuft und nur in kurzen Phasen sprunghaft Fortschritte macht.
  3. Dabei soll hier die eigene Problematik der Entstehung des genetischen Codes nicht diskutiert werden. (Vgl. Gitt W (1996) Am Anfang war die Information; Evolution – ein kritisches Lehrbuch, Kap. VII.16.1)
  4. Siehe Evolution – ein kritisches Lehrbuch, Kap. VII.17.5.2.
  5. ReMine WJ (1993) The Biotic Message. St. Paul, Minnesota. Ausführliche Buchbesprechung in Studium Integrale Journal 5 (1998), S. 45-48.
  6. Vgl. Evolution – ein kritisches Lehrbuch, Kap. I.1.3.
  7. Das vierseitige Blatt “Praxistips 2” wurde mit dem W+W-Info 44 verschickt.
  8. Frühere Bemühungen in dieser Richtung sind völlig fehlgeschlagen.

aus “Wort und Wissen Info 45” (Dezember 1998)

 

“Entstehung des Lebens” in der 21. Linder-Auflage: veraltet und irreführend

Ein Kommentar von Harald Binder

In der W+W-Info Ausgabe 4/98 hatte Reinhard Junker seine Eindrücke von einer ersten Durchsicht der 21. neu bearbeiteten Auflage von “Linder Biologie” (Standard-Biologielehrbuch für die Sekundarstufe II an den Gymnasien) angemerkt. An dieser Stelle soll der Abschnitt über Chemische Evolution und Entstehung des Lebens (S. 411-414) eingehender mit der älteren Auflage verglichen und kritisch kommentiert werden.

Um die Bedeutung dieses Themas zu verdeutlichen, sei darauf hingewiesen, daß für die gegenwärtige Diskussion um eine “Bio-Ethik” das Verständnis des Lebens selbst, seiner Entstehung und Geschichte von grundlegender Bedeutung ist. Außerdem ist zu bedenken, daß der weit überwiegende Teil der Bevölkerung die elementare Prägung zu diesem Thema in der Schulausbildung bekommt, oft ohne diese Positionen später kritisch zu überdenken oder zu aktualisieren. Wo eine Aktualisierung vorgenommen wird, erfolgt diese in der Regel durch den Konsum populär aufbereiteter Wissenschaftspublikationen in verschiedenen Medien, die gerade in diesem Themenfeld oft von erschreckender Rückständig- und Einseitigkeit geprägt sind.

 

Leben nur aus dem Leben

Bereits im einleitenden Abschnitt fällt auf, daß – wie schon in den früheren Auflagen – nach dem Hinweis auf Pasteur: “Omne vivum ex vivo” (Alles Leben kommt aus dem Leben) die starke Behauptung aufgestellt wird: “Für die erstmalige Entstehung der Organismen auf der Erde gilt diese Aussage nicht.” Begründung: “ganz andersartige physikalisch-chemischen Verhältnisse”. Doch diese anderen Verhältnisse könnten allenfalls Ansatz für Hoffnung liefern, sind aber keinerlei Begründung für eine solche Aussage.

 

Fehlende Zeit

Das ältesten Fossilreste sind im Vergleich zur 20. Auflage 100 Millionen Jahre älter geworden (3,7 Milliarden Jahre) Wenn dann weiter ausgeführt wird, daß (bei einem zugrundegelegten Erdalter von 4,5 Milliarden) damit fast eine Milliarde Jahre zur “Bildung einfachster lebender Strukturen” zur Verfügung standen, dann wird dabei ausgeblendet, daß in allen gängigen Modellen zur Erdentstehung davon ausgegangen wird, daß die Erde in der Anfangsphase sehr heiß und einem intensiven Bombardement von Meteoriten ausgesetzt gewesen ist. Damit ist sie für lange Zeit (in der Literatur findet man Schätzungen bis vor ca. 4 Milliarden Jahren) steril. Das Faktum der relativ kurzen Zeit, die somit zur Entstehung des Lebens noch zur Verfügung steht, hat übrigens einen prominenten Vertreter der Evolutionstheorie zu der Annahme veranlaßt, daß das Leben im Kosmos entstanden und die Erde infiziert worden sein muß, weil die Zeit für eine Entstehung auf der Erde nicht ausreicht (F. Crick 1983).

 

Uratmosphäre

Die ganze Diskussion der vergangenen Jahre mit all den geologischen Befunden, die als Hinweis für eine mindestens neutrale, wenn nicht gar leicht oxidierende Atmosphäre interpretiert worden sind, scheinen von den Autoren nicht wahrgenommen worden zu sein. Bei der Skizzierung der Randbedingungen würde man sich wenigstens Andeutungen wünschen, daß der gewählte Entwurf nur einer unter einer Vielzahl von Alternativen ist, die in der Fachliteratur diskutiert werden.

 

Simulationsexperimente

Die berühmte Miller-Apparatur. Mit ihr konnte zwar die Bildung organischer Moleküle aus anorganischen Stoffen nachgewiesen werden, doch zahllose Versuchsansätze zeigten, daß eine Entwicklung zum Leben auf diesem Wege nicht funktioniert. (Aus “Evolution  ein kritisches Lehrbuch”; dort finden sich detaillierte Begründungen)

Ist man bereit, all die bisher angeführten Unausgewogenheiten und Nachlässigkeiten nachzusehen, so ist es doch erstaunlich, ja eigentlich ärgerlich, mit welcher Penetranz und Ignoranz die Simulationsexperimente von Stanley Miller zitiert werden. Offenbar wurde nicht zur Kenntnis genommen, daß eben jener Forscher und mit ihm viele andere Pioniere der Erforschung der Lebensentstehung eine Vielzahl von experimentellen Untersuchungen publiziert und darin die Bedeutung jener historischen Experimente deutlich relativiert haben (Miller 1986, de Duve 1994). Nichts davon findet sich im “Linder”.

Es ist wahr, daß aus verdünnten wässrigen Formaldehyd-Lösungen unter bestimmten Bedingungen eine Vielzahl von Zuckern erzeugt werden kann. Aber die bisherigen Erfahrungen haben zugleich gezeigt, daß die für den Aufbau der Nukleinsäuren (Erbsubstanz) benötigten Kohlenhydrate Ribose (für RNA) bzw. 2-Desoxyribose (für DNA) auf diesem Wege nicht zugänglich sind. Deshalb sucht man nach einfacheren, weniger komplex gebauten, evtl. sogar nicht zuckerartigen Verbindungen.

Die Experimente von Miller werden auch nicht aussagekräftiger, wenn man sie mit Fragmenten aus den Hypothesen von G. Wächtershäuser anreichert. Es ist nämlich nicht verständlich zu machen, was durch Pyritbildung unterstützte Synthese von Ameisensäure mit der Entstehung von Leben zu tun haben soll. Da hilft es auch nicht, wenn diese an den positiv geladenen Pyritkriställchen festgehalten werden sollen. Auch die alten Konzepte der Proteinoide und Mikrosphären von S. Fox werden unverändert wieder aufgewärmt, obwohl jeder, der sich dafür interessiert, bereits seit vielen Jahren (z. B. bei Vollmert) nachlesen kann, daß solche Strukturen außer den begrifflichen Assoziationen mit den entsprechenden Phänomenen aus dem Bereich der Lebewesen nichts gemeinsam haben.

 

RNA-Welt

Auch die Präsentation der “RNA-Welt” ist veraltet. Deren Stern ist seit Jahren wieder im Sinken begriffen, weshalb intensiv nach einer “Vorgänger-Welt” und dem Übergang von der RNA-Welt zur gegenwärtigen “DNA-Protein-Welt” gesucht wird. Da hört es sich nüchterner an, wenn man von Protagonisten der “RNA-Welt”-Idee, G. F. Joyce und L. E. Orgel, in einer amerikanischen Fachzeitschrift für Biologielehrer liest: “Wir werden wohl nie das erste Polymer identifizieren können, das in eine Darwinsche Evolution eintrat. Selbst wenn wir seine chemische Natur kennen würden, würden wir so gut wie sicher nie seine genaue Sequenz kennen.” (Dennoch halten sie jedoch eine abiogenetische Entstehung des Lebens für plausibel.)

 

Hyperzyklus

Schwer nachvollziehbar ist auch, warum der Abschnitt über Hyperzyklen aufgewertet worden ist. Dieses mathematisch zwar konsistente Modell ist in Göttingen im Labor unter bestimmten experimentellen Randbedingungen (deren Aufrechterhaltung gewährleistet werden muß) umgesetzt worden. Aber bis heute konnte nicht plausibel gemacht werden, daß die erforderlichen Anfangs- und Randbedingungen auf einer hypothetischen frühen Erde jemals vorhanden gewesen sein können. Die Chemie spricht jedenfalls dagegen: es ist noch kein Hyperzyklus-Experiment im Labor demonstriert worden, das sich selbst etabliert hat. Das Konzept hat sich in biotechnologischen Entwicklungen zwar als erfolgreich erwiesen, ob ähnliches aber auch im Zusammenhang mit der Lebensentstehung beansprucht werden kann, ist bestenfalls offen.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang, wenn in der Neuauflage wieder behauptet wird: “Der Hyperzyklus hat bereits grundlegende Eigenschaften von Lebewesen.” Nein, Leben ist wesentlich anderes als Selbstvermehrung, Stoffwechsel und Mutation, auch wenn Lebewesen diese Phänomene u. a. zeigen.

Und die Aussage: “Wenn einfache Polynukleotide und Peptide in der chemischen Evolution entstanden sind, so mußte die Ausbildung des Hyperzyklus zwangsläufig zustande kommen”, zeugt von einer erstaunlichen Unkenntnis. Wo ist das Experiment, in dem gezeigt ist, was “zwangsläufig zustande kommen” soll?

Der Begriff “Protobiont” ist auch durch seine erneut hervorgehobene Verwendung nicht konkreter faßbar geworden, er wird weiter als abstrakte Worthülse vorgeführt, deren konkrete Bedeutung nicht zu vermitteln ist.

 

Fazit

Man wünschte sich, daß gerade dieses Thema in Schulbüchern sorgfältiger bearbeitet wird. In einer Zeit, in der viel über die Verkürzung der Schulausbildung geredet und trotzdem, oft ohne erkennbare Not, gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern – aktuelle Forschungsergebnisse in die Stoffliste aufgenommen werden, sollte man es nicht dulden, daß beim Thema Lebensentstehung teilweise der Kenntnisstand von 1953 in so unkritischer Weise wie hier wiedergegeben wird. Der Gesamteindruck, den man beim Studium dieses Buchabschnitts erhält, deckt sich nicht annähernd mit demjenigen, den eine Beschäftigung mit entsprechender Fachliteratur hervorruft. Glücklicherweise gibt es an diesem Punkt bessere Biologiebücher.


  • Vollmert B (1985) Das Molekül und das Leben. Reinbek bei Hamburg. Crick F (1983) Das Leben selbst. München
  • de Duve C (1994) Ursprung des Lebens. Präbiotische Evolution und die Entstehung der Zelle. Heidelberg.
  • Miller SL (1986) Current status of the prebiotic synthesis of small molecules. Chem. Script. 26B, 2-11.
  • Joyce GF & Orgel LE (1998) The Origin of Life-a status report. The American Biology Teacher 60, 10-12.

aus “Wort und Wissen Info 48” (September 1999)