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Richard Swinburne: „The Existence of God“

Richard Swinburne (2004) „The Existence of God”, second edition, Oxford. (363 Seiten)


Nachfolgend eine Rezension von Christian Knobel:

Einleitung

Das Buch “The Existence of God” von Richard Swinburne – von 1985 bis 2002 Nolloth Professor der Philosophie der christlichen Religion an der Universität Oxford – wurde erstmals 1977 veröffentlicht und bildet den mittleren Band seiner Trilogie der Philosophie des Theismus, deren erster Band „The Coherence of Theism“ und letzter Band „Faith and Reason“ ist. 2004 erhielt „The Existence of God“ seine zweite stark überarbeitete Auflage. Das Buch wurde einerseits erweitert und andererseits wurden kritische Stimmen und neuere Literatur berücksichtigt. Die Argumentationsweise und Grundüberzeugungen des Autors blieben aber unverändert.

Der Inhalt des Buches ist der Versuch, das Gewicht von Argumenten für oder gegen die Existenz Gottes zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Dabei werden nur Argumente zugelassen, die auf Erfahrungswissen beruhen. Es werden also keine Argumente berücksichtigt, deren Prämissen logisch notwendig wahr sind. Das bedeutet, dass die traditionellen ontologischen Gottesbeweise1 nicht diskutiert werden (S. 8). Swinburne erhebt weiter den Anspruch, das Thema „in Tiefe und mit Strenge“ (S. 1) zu behandeln. Er hält dabei die Prinzipien von Hume und Kant, wonach der Verstand niemals in der Lage sei, gerechtfertigte Schlussfolgerungen über die Existenz Gottes zu treffen, für unangebracht (S. 2). Schließlich müssten sonst die Philosophen, die so argumentieren wie Hume und Kant, nicht nur den Gottesbeweisen, sondern auch einem Großteil der modernen Physik skeptisch gegenüber stehen, da auch dieser jenseits unserer unmittelbaren Erfahrung liege. Swinburne versucht allerdings nicht, einen rigorosen Gottesbeweis zu führen. Es handelt sich vielmehr um eine Plausibilitätsbetrachtung anhand von Indizien, die auf unserer Erfahrung beruhen.

Die Argumentation des Buches ist verständlich geschrieben und nachvollziehbar aufgebaut. Auf Fremdwörter wird weitgehend verzichtet, obwohl das Buch mit der Zeit seine eigenen Terminologien benützt. Dies erschwert das Lesen aber nicht, da die meisten dieser speziellen Begriffe anfangs eingeführt und konsequent verwendet werden. Hat man sich an diese gewöhnt, liest sich das Buch relativ flüssig. Möglicherweise lohnt es sich, einschlägige Definitionen zu markieren oder gar herauszuschreiben, damit man sie bei Bedarf wieder ins Gedächtnis rufen kann. Die häufigen Wiederholungen der Kerngedanken eines Arguments helfen zudem dabei, dass man im Laufe der Lektüre die Übersicht nicht verliert. Swinburne bediente sich zur Verdeutlichung der Argumente und Argumentationsstruktur gelegentlich symbolischer Formeln. Allerdings kommen diese selten vor und werden auch im Text erklärt.

Argumentationsstruktur

Grundsätzliche Strategie

Um seinen These so klar und sorgfältig wie möglich darzulegen, nutzt Swinburne die Bayessche Wahrscheinlichkeitsrechnung oder, wie er es nennt, die „Bestätigungstheorie“ (engl. confirmation theory, S. 2). Dieses Werkzeug wird auch in der physikalischen Datenanalyse verwendet und erlaubt es – wenn es richtig angewandt wird -, Hypothesen Wahrscheinlichkeitswerte zuzuweisen und in logischer Strenge damit zu operieren. Es handelt sich also um eine Art erkenntnistheoretischer Methode. Damit kann Swinburne das Gerüst seiner Argumente quasi mathematisch formulieren. Dies ist eine der Hauptstärken seines Ansatzes, der m. E. von Kritikern zu wenig Anerkennung gefunden hat.

Weiter nutzt Swinburne die synergetische Stärke von Argumenten für die Existenz Gottes. Es bestehe die Tendenz, dass Kritiker jedes der Argumente getrennt von den anderen untersuchen würden. Am Ende kämen sie dann zur Schlussfolgerung, da die einzelnen Argumente nicht zu überzeugen vermochten, dass die Existenz Gottes schlecht begründet sei (S. 12). Betrachte man dagegen alle Argumente zusammen, so würden sich ihre Aussagekräfte möglicherweise aufsummieren, so dass selbst, wenn die einzelnen Argumente schwach zu sein scheinen, die Gesamtheit der Argumente dennoch die Existenz Gottes wahrscheinlich machen kann. Diese Strategie des „kumulativen Effektes“ (S. 13) ist die zweite Stärke von Swinburnes Ansatz.

Im Folgenden werde ich die Struktur seiner Argumente erläutern, wobei ich mich seiner Formelsprache bediene.2Sei e das „Beweismaterial“3 (engl. evidence) und h eine Hypothese, so ist

P(e|h) = „Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit von hunter Berücksichtigung der Evidenz e.“4

Swinburne untersucht nun elf Evidenzen e1, … ,e11, die alle mit der Frage der Existenz Gottes zusammenhängen. Dazu trifft er die Annahme, und die Gültigkeit dieser Annahme ist entscheidend, dass keine weiteren Argumente, als die von ihm diskutierten, zur Frage der Existenz Gottes signifikant beitragen (S. 9). Die elf Evidenzen sind

e1 = „die Existenz eines komplexen physikalischen Universums“
e2 = „zeitliche Ordnung in diesem Universum (z.B. Naturgesetze)“
e3 = „räumliche Ordnung in diesem Universum (z.B. Design in der Biologie)“
e4 = „das Bewusstsein als etwas Außerphysikalisches“
e5 = „die Existenz von moralischer Objektivität“
e6 = „die Tatsache, dass sich die Menschen dieser Moral bewusst sind“
e7 = „die Tatsache, dass wir Menschen in der Schöpfung Verantwortung übernehmen müssen“
e8 = „die Existenz des Übels in der Welt“
e9 = „die Tatsache von der Verborgenheit Gottes“
e10 = „das Vorkommen von Wundern“
e11 = „das (sehr häufige) Vorkommen von religiösen Erfahrungen“

 

Dabei sind diese so gewählt, dass die nachkommenden Evidenzen die jeweils vorhergehenden voraussetzen (aber nicht umgekehrt). So setzt beispielsweise die zeitliche Ordnung im Universum (e2) die Existenz eines komplexen physikalischen Universums (e1) voraus. Diese geschickte Wahl erlaubt es Swinburne, die Evidenzen für die Existenz Gottes Schritt für Schritt zu untersuchen und jeweils nur die Besonderheit der aktuellen Evidenz zu bewerten. Dabei stellt er sich die Frage, ob für die Evidenz en folgende Gleichung zutrifft:

P(h|en & en-1 & … & e1) > P(h|en-1 & … & e1),

wobei die Hypothese h = „Es gibt einen Gott“. Ist die Gleichung erfüllt, so nennt Swinburne en ein „korrektes c-induktives Argument“ (S. 17), da es die Hypothese hzusätzlich zu den bereits berücksichtigten Evidenzen en-1, … ,e1 zu stärken vermag. Dazu ein Beispiel:

e2 ist die Tatsache von geordneten Naturgesetzen. Die Existenz von Naturgesetzen setzt aber bereits die Existenz eines Universums voraus, d.h. e1. Sagen wir nun, Swinburne konnte sich auf einen Wert P(h|e1) festlegen. Nun möchte er wissen, ob die Tatsache, dass es im Universum zeitliche Regelhaftigkeit durch Naturgesetze gibt, die Existenz Gottes zusätzlich zur Tatsache der Existenz des Universums schlechthin wahrscheinlicher macht. Dies ist dann der Fall, wenn gilt

P(h|e2 & e1) > P(h|e1)

d.h. wenn e2 ein korrektes c-induktives Argument ist.

Swinburne kommt am Ende zum Schluss, dass die meisten Evidenzen korrekte c-induktive Argumente seien. Ausnahmen bildeten e5, e8 und e9, wobei e5 und e9 die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes nicht verändern würden und e8 = „die Existenz des Übels in der Welt“ die Wahrscheinlichkeit ein wenig verkleinere.

Bayessches Theorem

Eine wichtige Frage bei diesem Prozedere ist, wie man zuverlässige Abschätzungen der Größen P(h|e) erhält. Um dies zu bewerkstelligen, benutzt Swinburne das bekannte Bayessche Theorem:

P(h|e) = P(e|h) P(h) / P(e),

wobei die Größen P(h) bzw. P(e) „prior-Wahrscheinlichkeiten“ genannt werden und die Wahrscheinlichkeiten für h bzw. e darstellen, bevor die Evidenz e berücksichtigt wird. In Worten ausgedrückt sagt diese Formel, dass die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Hypothese h unter Berücksichtigung der Evidenz eproportional zur Wahrscheinlichkeit ist, dass sich e ereignet, wenn h richtig ist, geteilt durch die Wahrscheinlichkeit, dass sich e sowieso ereignet hätte unabhängig von h. Das bedeutet, je besser die Hypothese h die vorgefundene Evidenz e erklärt, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit P(h|e), und je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich e ohnehin ereignet hätte (unabhängig von h), desto kleiner ist P(h|e).Der Proportionalitätsfaktor ist dabei die prior-Wahrscheinlichkeit P(h), d.h. die Wahrscheinlichkeit von hunabhängig davon, ob wir e vorfinden oder nicht. Bayes Theorem sagt uns also auch, wie sich die Wahrscheinlichkeit von h verändert, wenn wir berücksichtigen, dass wir die Evidenz e vorgefunden haben. Damit läuft die Beurteilung der Wahrscheinlichkeiten P(h|e) im Wesentlichen auf Frage heraus, ob die Existenz Gottes die Evidenzen e besser erklärt als konkurrierende Hypothesen wie der Atheismus, Polytheismus etc und wie sich die Priorwahrscheinlichkeiten der verschiedenen Hypothesen zueinander verhalten.

Eine wichtige Frage ist nun, wie denn die Werte der prior-Wahrscheinlichkeiten bestimmt werden können. Dies ist seit der Veröffentlichung von Bayes Theorem 1763 ein umstrittener Punkt geblieben und beinhaltet unvermeidlich auch subjektive Aspekte. Allerdings ist dieses Problem nicht eine Eigenart von Swinburnes Ansatz, sondern von Bayes Theorem, und findet sich beispielsweise auch in der physikalischen Datenanalyse. Swinburne benutzt als Hauptkriterium zur Abschätzung der prior-Wahrscheinlichkeiten das Kriterium der Einfachheit. „Es muss ein Kriterium geben, um zwischen den unendlich vielen Theorien, die gleich erfolgreich waren, die Beobachtungen vorherzusagen, auszuwählen […]. Die Geschichte der Wissenschaft zeigt, dass dieses Kriterium in der Abwesenheit von Hintergrundwissen im Wesentlichen das Kriterium der Einfachheit ist. Ohne Verwendung dieses Kriteriums könnte überhaupt kein Fortschritt in rationaler Untersuchung erzielt werden.“ (S. 59)

Swinburnes Ergebnis

Swinburnes Argumentation läuft darauf hinaus, zu zeigen, dass

P(h|e10 & … & e1) > 1/2,

was bedeutet, dass die Existenz Gottes unter Berücksichtigung von e1, … ,e10 wahrscheinlicher ist als seine Nicht-Existenz. Damit wäre e = e1 & … & e10 nach Swinburnes Terminologie ein „korrektes p-induktives Argument“ (S. 17). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass es Swinburne durch eine Umformung des Baysschen Theorems möglich ist (S. 339ff), eine Abschätzung für P(h|e10 & … & e1) zu erhalten, ohne den bedingten- und prior-Wahrscheinlichkeiten je absolute Werte zugewiesen zu haben, was wohl unmöglich gewesen wäre. Swinburne braucht die Werte der bedingten- und prior-Wahrscheinlichkeiten nur relativ zu einander zu bestimmen. Dies ist viel einfacher, als den Wahrscheinlichkeiten absolute Werte zuzuordnen, und ohne absolute Werte möglich, insbesondere mit dem Kriterium der Einfachheit (s.o.).

Die letzte Evidenz e11 = „das Vorkommen von religiösen Erfahrungen“ wird in diese Berechnung nicht einbezogen, sondern dient der Vollendung seiner „Beweisführung“. Swinburne argumentiert, dass die religiösen Erfahrungen, die von vielen Menschen durch die Geschichte bezeugt wurden, den Theismus über alle Massen wahrscheinlich machen würden, außer die Wahrscheinlichkeit des Theismus sei bereits aufgrund anderer Evidenz sehr klein. Dies sei aber offensichtlich nicht der Fall, da die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes ja aufgrund der vorher untersuchten Evidenz größer als 1/2 sei. Darum schließt Swinburne sein Buch mit den Worten: „Die Erfahrung so vieler Menschen in Momenten religiöser Vision stimmt überein mit dem, was die Natur und Geschichte als ganz wahrscheinlich zeigen – dass es einen Gott gibt, der den Menschen und das Universum erschuf und erhält.“ (S. 342)

Diskussion

In Folgendem sollen einzelne, ausgewählte Aspekte des Buches diskutiert werden. Jede der Evidenzen e1, … ,e11 zu diskutieren, würde den Rahmen dieser Besprechung bei weitem sprengen. Ich werde mich darum auf Aspekte beschränken, die mir besonders wichtig erscheinen.

Mathematisches Gerüst und genaue Definitionen

Wie oben bereits angesprochen, arbeitet Swinburne mit der Bestätigungstheorie. Dadurch gibt er ein Gerüst vor, mit dem theoretisch jeder Leser selber arbeiten kann. Selbst wenn man mit keiner von Swinburnes Beurteilungen der Evidenzen e1, … ,e11 einverstanden wäre, könnte man ohne Weiteres das ganze mathematische Gerüst sowie die definierten Begriffe weiterverwenden und einfach seine eigenen Wahrscheinlichkeitsabschätzungen einsetzen. So behandelt Swinburne sein 12. Kapitel über Wunder sogar, ohne die Existenz eines einzigen konkreten Wunders nachzuweisen. Dies überlässt er quasi dem Leser. Er diskutiert nur, wie ein eventuelles Wunder (z.B. die Auferstehung Christi) die Wahrscheinlichkeit der Existenz Gottes beeinflussen könnte. Weiter ist es natürlich auch problemlos möglich, die Liste der Evidenzen zu erweitern, ohne dieses Gerüst zu verlassen. Allein schon aufgrund dieser konzeptionellen Aspekte kann es sich lohnen, das Buch zu lesen.

Swinburne arbeitet nicht nur mit dem mathematisch strengen Formalismus der Bestätigungstheorie (s.o.), sondern wendet auch viel Zeit auf, Begriffe einzuführen und klar zu definieren. Das ist bei einer solch grundlegenden Arbeit wertvoll. Nicht nur wird anfangs genau definiert, was unter „Gott“ verstanden wird (im Rahmen einer solchen philosophischen Arbeit natürlich nur als Modell möglich), sondern es wird auch genau dargelegt, was eine „Erklärung“ ist, was ein „Universum“ ist etc. Dabei schafft Swinburne sinnvolle Schemen und Kategorien (z.B. „volle Erklärung“, „komplette Erklärung“, „letzte Erklärung“, „absolute Erklärung“ etc. (S. 73ff)), die auch in anderen philosophischen Zusammenhängen verwendet werden können. Diese konsequent durchgezogene Exaktheit dient dazu, die „Weichheit“ der philosophischen Begriffe soweit als möglich einzuschränken. Die Klarheit der Darstellung ist geradezu außergewöhnlich gut.5 Das darf sehr positiv gewertet werden.

Der Gott in der Zeit

Swinburne lehnt die seit dem vierten Jahrhundert n. Chr. traditionelle christliche Vorstellung ab, wonach Gott nicht ein zeitliches Wesen sei, sondern quasi „außerhalb“ der Zeit existiere. Er meint dazu: „…es ist sehr schwierig, dem irgendetwas Sinnvolles abzugewinnen, […] und es scheint für den Theisten völlig unnötig, sich dieses Verständnis der Ewigkeit aufzubürden.“ (S. 7) Dieser Ansicht kann ich mich nicht anschließen. Ich sehe das Problem mit dem traditionellen „außerzeitlichen Gott“ nicht, dafür sehe ich verschiedene Schwierigkeiten mit dem „zeitlichen Gott“, vor allem, wenn man eine christliche Sicht des Theismus vertritt. Nach der Bibel ist Gott nämlich in der Lage, präzise Prophetien zu geben, die sich erst Hunderte von Jahren nach der Niederschrift erfüllen sollten. Diese Eigenschaft scheint aber nicht möglich, wenn Gott selber ein Wesen in der Zeit ist. Dies gesteht Swinburne sogar selber ein, ohne allerdings auf das spezifisch biblische Problem der Prophetien einzugehen. So schreibt er, dass, obwohl Gott nach seiner Definition allwissend sei (d.h. Gott weiß alles, was man logischerweise wissen kann), er nicht in der Lage sei, den freien Willen einer Person zu einem späteren Zeitpunkt zu kennen, da dies logisch unmöglich sei (S. 95).

Ein weiteres Problem ergibt sich aus der speziellen Einsteinschen Relativitätstheorie. Zeit ist keine absolute Größe in der Hinsicht, dass zwei Beobachter in verschiedenen Bezugssystemen die Zeitspanne zwischen zwei Ereignissen als verschieden lang messen können und dass es beispielsweise keine absolute Gleichzeitigkeit zweier Ereignisse gibt. Wenn aber Gott in der Zeit ist, bezüglich welchem Bezugsystem nimmt er dann das Weltgeschehen wahr? Betrachtet man zudem die allgemeine Relativitätstheorie, wird die Angelegenheit noch komplizierter, da nicht nur das Bezugssystem, in dem man sich befindet, sondern sogar der Ort, wo man steht, zu dieser Relativität beiträgt. Da Gott nach Swinburnes Definition auch der „Schöpfer aller Dinge“ (S. 7) ist, d.h. auch der Schöpfer der Materie, sehe ich hier ein Konsistenzproblem. Wenn nämlich die Materie die Wahrnehmung der Zeit messbar beeinflusst, dann scheint ein zeitlicher Gott offensichtlich von etwas abzuhängen, was er selber geschaffen hat.

Es scheint allerdings ohne Probleme möglich, mit leichten Modifikationen die gesamte Argumentation von Swinburne mit der traditionellen Gottesvorstellung durchzuziehen.

Theologisch problematische Ansichten

Im 10. und 11. Kapitel häufen sich die Ansichten, die nicht mit einem evangelikalen6 Verständnis des Christentums vereinbar sind, sondern höchstens mit einem sehr liberalen. Das kann aber nicht als Kritik an Swinburnes Buch formuliert werden, da er nicht das Christentum verteidigt, sondern lediglich die Hypothese „Es gibt einen Gott“, also nur den allgemeineren Fall des Theismus. Swinburne verwendet in seiner Argumentation keine Informationen aus der Bibel, wenn auch seine Gottesdefinition dem christlichen Gottesverständnis sehr nahe kommt (bis auf den im letzten Abschnitt diskutierten Aspekt der Zeitlichkeit). Als Beispiele von konkreten Abweichungen vom biblischen Weltbild können folgende Ansichten genannt werden:

  • Dass die Welt eine Welt des Zerfalls ist, wird als etwas Gutes gewertet (S. 226). Schließlich wird sogar der Tod insgesamt als etwas Gutes betrachtet, das von Anfang an von Gott gewollt (!) war und zur Welt gehören sollte (S. 229). Diese Ansicht trifft man in dieser offenen Formulierung doch eher selten an. Nicht nur, dass sie dem biblischen Zeugnis völlig entgegengesetzt ist. Man fragt sich geradezu, was die Bibel mit der Paradiesgeschichte denn aussagen möchte, wenn nicht, dass es eben noch eine „bessere Welt“ gibt als unsere gegenwärtige. Swinburne geht auf diese Frage nicht ein. Besonders ungläubige Kritiker dürften sich mit dieser Ansicht schwer tun, obwohl Swinburne seine These mit viel Text zu verteidigen versucht. Schließlich ist die Existenz des Übels auf dieser Erde eines der häufigsten Argumente gegen die Existenz Gottes. Mich hat die Argumentation für diese These nicht überzeugt, wenn auch einzelne Gedanken ihre Berechtigung haben mögen.
  • Swinburne vertritt explizit eine theistische Evolution. Er sieht als Produkt der Evolution sogar eine Zunahme an religiöser Erkenntnis (S. 231). Dabei macht er unnötig apodiktische Aussagen wie „Wir wissen, dass sich menschliche Körper durch natürliche Prozesse aus anorganischer Materie entwickelt haben.“ (S. 170), wenn auch am Ende des Abschnitts mit einer Fußnote auf den Appendix 2 verwiesen wird, in welchem er den ID-Ansatz von Michael Behe dann explizit ablehnt.
  • Gott ist Swinburnes Aussage zufolge offenbar „verpflichtet“ (S. 262), den in dieser Welt übermäßig Leidenden ein schönes Nachleben zu geben, um einen Ausgleich zu schaffen. Die Bibel lehrt allerdings nicht, dass Gott zu irgendetwas verpflichtet wäre und schon gar nicht, dass übermäßiges Leiden quasi eine Garantie für den Eintritt in den Himmel sei. Die Theodizee der Bibel ist nicht ganz so einfach.

Diese und weitere Ansichten machen es problematisch, diese Kapitel als Teil einer christlichen evangelikalen Apologetik aufzufassen. Hier muss man aufpassen, sich nicht von mehr oder weniger guten Argumenten zugunsten des allgemeinen Theismus zu einem theologischen Verständnis verleiten zu lassen, das man vorher nicht vertreten hat. Insgesamt scheint, dass Swinburne ein Verständnis des Christentums vertritt, das mit einem evangelikalen Verständnis der Bibel nicht vereinbar ist. Man kann sich durchaus fragen, ob er die Subvention durch die Universität Oxford auch erfahren hätte, wenn er ein mehr konservatives Christentum vertreten hätte. Manchen mag es auch erstaunen, dass Swinburne zu einer positiven Antwort der Gottesfrage geführt wird, obwohl (oder gerade weil?) er die Evolution und die Existenz des Übels auf der Welt in seine Überlegungen einbezieht und explizit gelten lässt.

Für eine evangelikale Apologetik müsste man wohl die Kapitel 10 und 11 noch einmal vollkommen neu schreiben und auch das biblische Zeugnis einbeziehen. Dazu müsste man allerdings die ursprüngliche Hypothese h = „Es gibt einen Gott“ auf das Christentum konkretisieren, was gegenüber Swinburnes Ansatz primär ändern würde, dass der Mensch Gott Gehorsam schuldet und in dieser Hinsicht auch in Ungnade fallen kann (Sünde). Dieser Aspekt kommt m. E. bei Swinburne zu kurz und könnte die Beurteilung gewisser Evidenzen (besonders von e8 und e9) wesentlich beeinflussen. Diese Modifikationen der ursprünglichen Hypothese werden aber zu einer geringeren Einfachheit und dadurch zu einer geringeren prior-Wahrscheinlichkeit P(h) führen. Dafür hat man möglicherweise mehr Evidenzen zu Verfügung (u.a. auch Gedankengut aus der Bibel) und kann die alten Evidenzen e1, … ,e11 unter der neuen Hypothese neu bewerten, was den Verlust an prior-Wahrscheinlichkeit wieder (fast) ausgleichen könnte.7 Wie oben dargelegt, eignet sich das argumentative Gerüst von Swinburne vorzüglich, um die Argumentation mit anderen Bewertungen und Evidenzen zu wiederholen.

Abschließende Bewertung

Es gäbe noch viele weitere Aspekte, die wert wären, diskutiert zu werden. Wollte man aber alle ansprechen, müsste man wohl ein kleines Buch schreiben. Ich habe in dieser Besprechung darum die Aspekte herausgegriffen, die mir am wichtigsten schienen.

Swinburnes Werk ist sicherlich bedenkenswert und enthält viele wertvolle Konzepte und Gedankenanstöße. Swinburne arbeitet zudem sorgfältig und zieht seine Terminologie konsequent durch. Man kann von der Gelehrsamkeit dieses Mannes, der sich letztlich sein ganzes Leben mit dieser Materie beschäftigt hat, enorm profitieren. Sein mathematisches Gerüst in Form der Bestätigungstheorie sollte vielen Philosophen und Theologen als Vorbild dienen, wie man eine komplexe und anspruchsvolle Materie sachlich, übersichtlich und streng logisch behandeln kann. Dies alleine wäre ein lohnenswerter Grund, das Buch zu lesen. Berücksichtigt werden muss allerdings, dass Swinburne keine streng christliche (oder gar evangelikale) Apologetik präsentiert, sondern ein Plädoyer für den Theismus. Christen werden sich nicht mit allen Argumenten identifizieren können und sollten jeweils genau prüfen, mit welchen Argumentationen sie sich anfreunden. Auf der Buchrückseite ist ein Zitat des „Journal of Theological Studies“, wonach „jeder an der Philosophie der Religionen oder systematischen Theologie ernsthaft Interessierte“ das Buch lesen sollte. Insgesamt stimme ich dieser Aussage zu und würde sogar sagen, dass sie für alle gilt, die sich ernsthaft für christliche Apologetik interessieren, auch wenn sie nicht in jedem Punkt Swinburne zustimmen dürften.

Anmerkung

  1. Ontologische Gottesbeweise sind Beweise, in denen Gott zuerst definiert wird und danach anhand der Definition gezeigt wird, warum Gott existieren muss. Dabei wird alleine von der Logik Gebrauch gemacht, ohne Erfahrungswissen einzubeziehen. Ältere Versuche des ontologischen Beweises beinhalten den klassischen Beweis von Anselm von Canterbury (1033-1109), während ein Beispiel eines neueren solchen Beweises etwa der Gödelsche Gottesbeweis (1970) ist.
  2. Die Darstellung wird hier etwas vereinfacht, indem das „Hintergrundwissen“ k nicht in die Formelsprache einfließt. Dadurch wird die Darstellung aber nicht verfälscht.
  3. In Folgendem wird dafür einfach der Begriff „Evidenz“ verwendet.
  4. Etwas philosophischer ausgedrückt könnte man auch sagen P(h|e) = „Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Hypothese h, wobei nur Welten berücksichtigt werden, die die Evidenz e enthalten.“
  5. Im Zusammenhang einer verkürzten und popularisierenden Version dieses Buches mit Namen „Is there a God?“ wurde dies sogar von Kritiker lobend anerkannt (siehe etwa Richard Dawkins (2003). Richard Swinburne’s Is there a God?. Think, 2, pp 51-54 doi:10.1017/S1477175600000622).
  6. Eine Einführung in das evangelikale Schriftverständnis gibt Helge Stadelmann (2005) „Evangelikales Schriftverständnis“, jota Publikationen, Hammerbrücke.
  7. Hier muss man beachten, dass die Hypothese h2 = „Das Christentum ist wahr“ nicht wahrscheinlicher wahr sein kann als die Hypothese h1 = „Es gibt einen Gott“, weil h2 ein Spezialfall von h1 ist. h1 wäre auch dann erfüllt, wenn der Islam wahr wäre, h2 aber nicht. Es gilt daher immer P(h1) > P(h2) unabhängig davon, welches Hintergrundwissen man berücksichtigt.

© 2005 (leicht editiert 2011)