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Helge Stadelmann: „Bibeltreues Schriftverständnis und die Urgeschichte“




Nachfolgend eine Rezension von Manfred Stephan:

„Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“, lautet nach dem Philosophen Immanuel Kant (1784) „der Wahlspruch der Aufklärung“.1 Christen wollen jedoch nicht nur ihren Verstand benutzen, sondern sich vor allem am Wort Gottes orientieren. Das bedeutet im Bereich des Denkens auf „alle Freigeisterei und jeden Vernunftschluß, der sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt“, freiwillig2 zu verzichten und sich „dem Gehorsam gegenüber Jesus Christus zu unterstellen“ (vgl. 2. Kor 10, 4-5; z.T. nach K. Berger).

Dazu leitet das Buch von H. Stadelmann an, dem Rektor der Freien Theologischen Akademie (FTA) Gießen. Der Autor zeigt im 1. Teil: Das Bemühen um ein bibeltreues Verständnis der Heiligen Schrift mit der Betonung von Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit hat es nicht nur in der Orthodoxie des 16./17. Jahrhunderts gegeben, sondern ebenso in der Alten Kirche, der Reformation, im Pietismus und Evangelikalismus des 19. Jahrhunderts (S. 9-49). Schon deshalb kann man diese Position nicht – wie vielfach heute – als „fundamentalistischen“ Irrweg abtun, der (psychologisch) aus Überfremdungsängsten vor der Moderne bzw. Postmoderne zu erklären sei.

Im 2. Teil werden radikal-bibelkritische Positionen behandelt und ihre Konsequenzen aufgezeigt – u.a. E. Troeltsch, H. Gunkel, R. Bultmann, E. Drewermann und Qumran-„Enthüllungs“-Literatur (51-72). Dann werden die (oft unterschätzten) Gefahren gemäßigter Bibelkritik anhand von A. Schlatter, K. Barth und E. Brunner besprochen (S. 73-91). Das folgende, zentrale Kapitel entfaltet in 8 Thesen wichtige Eckdaten evangelikalen Schriftverständnisses (S. 93-146).

Mit einem für die meisten Arbeitszweige der SG Wort und Wissen bedeutsamen Kapitel wird der 3. Buchteil eröffnet: Ist die biblische Urgeschichte wahr? Weichenstellungen für eine heilsgeschichtliche Theologie (S. 147-169). Stadelmann weiß: „Zweifellos handelt es sich um ein ‚heißes Eisen’. Hier bestehen nicht nur die üblichen Erkenntnisunterschiede, wie man sie unter Theologen immer wieder findet. … Der Allein-Zuständigkeitsanspruch der menschlichen Ratio für die Erkenntnis der Welt hat die Theologie auf dem Gebiet des 1. Glaubensartikels (‚Ich glaube an Gott…, den Schöpfer des Himmels und der Erde’) in lange Rückzugsgefechte verwickelt. Wer das Gebiet der Schöpfungslehre im Spannungsfeld zwischen Glaube und Naturwissenschaften erneut angeht, rührt an einen empfindlichen Punkt“ (S. 147). Um so mehr ist Stadelmann für dieses mutige Kapitel zu danken. Einmal zeigt er in Auseinandersetzung mit anderen Positionen (v.a. E. Brunner und O. Cullmann), daß die biblische Urgeschichte – als Beginn der Heilsgeschichte – wirkliche Geschichte sein will (S. 148-162). Zweitens gibt er wichtige Hilfen für das Verständnis von anderen Schöpfungstexten im Alten Testament (z.B. im Buch Hiob und den Psalmen), die im Unterschied zu 1. Mo 1 eine ausgeprägt poetische Sprachgestalt haben (S. 162-165). Dann werden zwei Auslegungsmöglichkeiten des Schöpfungsberichts einander gegenüber gestellt, der sog. progressive Kreationismus, der „mit Gottes fortschreitendem, gezieltem schöpferischen Handeln (über lange Zeiträume hin) rechnet“, und der eigentliche oder Kurzzeit-Kreationismus, wie ihn etwa Wort und Wissen vertritt; die Studiengemeinschaft wird ausdrücklich mit einigen (allerdings älteren) Publikationen genannt (S. 166f.). Stadelmann zitiert F. Howe, der beide Positionen „mit dem exegetischen Befund der Genesis verglichen“ hat und zu dem Ergebnis kommt, daß „der eigentliche Kreationismus der Aussageintention von 1. Mo 1 ungezwungen näher steht“ (S. 168).

Weiter behandelt der umfangreiche Teil 3 als thematische Mitte des Buches das theologisch äußerst kontroverse Thema „Bibeltreue und Geschichte“. Denn bekanntlich bestreitet die an den Universitäten dominierende historisch-kritische Theologie den Geschichtscharakter der Bibel mehr oder weniger bzw. erklärt ihn für bedeutungslos. Zwei Kapitel gehen in diesem Teil dem Thema „Heilsgeschichte“ nach, das für Stadelmann von jeher zentral ist. Zunächst wird das Verhältnis von Geschichte und Heilsgeschichte untersucht (S. 171-217); dieses Kapitel enthält einen interessanten Abschnitt über unterschiedliche Gliederungsversuche der Heilsgeschichte im Judentum und Christentum (S. 192ff.). Das zweite Kapitel behandelt unter der Überschrift „Biblische Apokalyptik und heilsgeschichtliches Denken“ bestimmte alttestamentliche prophetische Texte und Bücher (Daniel), frühjüdische sowie neutestamentliche Schriften (Offb) und Abschnitte (z.B. Mt 24), die zur „apokalyptischen“ Literatur gezählt werden; Stadelmann gibt wichtige Hilfen zur Charakteristik und zum Verständnis dieser weithin „endzeitlichen“ Texte (S. 219-236). In zwei weiteren Kapiteln wird anhand der beiden Beispiele Versuchungsgeschichte Jesu und „Differenzen“ zwischen Apostelgeschichte und Galaterbrief im Detail gezeigt, worin die Problematik bibelkritischer Auslegungsmethoden besteht und wie im Gegensatz dazu die Auslegungsschritte aussehen können, die eine schriftgemäße Bibelwissenschaft anwenden sollte (S. 237-292).

Der 4. Teil ist praktisch-theologisch ausgerichtet; er behandelt so wichtige und umkämpfte Themen wie die Bibel „als Norm im Gemeindeaufbau“ (S. 293-326), die Frage der „Frauenordination“ (Pastorinnen) in bibeltreuer Perspektive (S. 327-356; das Kapitel gehört zu den gründlichsten und ausgewogensten Abhandlungen, die ich dazu kenne), sowie „bibeltreue Ausbildung auf allen Ebenen“ – Hochschulen, Religionsunterricht, evangelikale Ausbildungsstätten (S. 357-390).

Fazit: Auch für Nichttheologen ein verständliches und empfehlenswertes Buch!

Anmerkungen


1 Kant, I.: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Bahr, E. (Hrsg.): Was ist Aufklärung? Universalbibliothek Nr. 9714, Stuttgart 1976, S. 8-17; Zitat S. 8.
2 Die Freiwilligkeit ist deshalb wichtig, weil Gott, der sich in Jesus Christus geoffenbart hat, niemand zum Glaubensgehorsam zwingt. Anders als etwa im staatlich geförderten mittelalterlichen Christentum (das dem Wort und Wirken Jesu nicht entspricht), geht es beim Gehorsam gegenüber der Heiligen Schrift, deren Zentrum Jesus Christus ist, nicht um Unterwerfung unter kirchliche Behörden mit weltanschaulichem Monopol (soweit die Aufklärung sich dagegen wehrte, ist ihr zuzustimmen). Vielmehr geht es um die freiwillige Unterordnung des einzelnen im Rahmen der Gemeinde Jesu unter das Wort Gottes als Schritt des Glaubensgehorsams gegenüber Jesus Christus (vgl. Röm 1,5; 15,18; 16,26; 1. Pt 1,22; Apg 6,7).
3 Diese Einschätzung scheint auch J. Eber zu teilen, der im Vorwort zum Jahrbuch für evangelikale Theologie (Jahrgang 18; Wuppertal 2004) von „der biblischen Schöpfungstradition in Genesis 1-2“ als „einem heiß diskutierten Thema“ spricht; er verweist auf den im gleichen Jahresband erschienenen – sehr empfehlenswerten – Beitrag des Alttestamentlers an der FTA, W. Hilbrands: „Zehn Thesen zum biblischen Schöpfungsbericht (Gen 1,1-2,3) aus exegetischer Sicht“ (S. 7-25; sowie erweitert im Internet: www.fta.de -> Dozenten -> Download -> Hilbrands).

Helge Stadelmann Evangelikales Schriftverständnis 19,95 *

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