Skip to main content

C. Heilig, J. Kany: „Die Ursprungsfrage“

Beiträge zum Status teleologischer Antwortversuche in der Naturwissenschaft.
Münster, 302 Seiten, 29,95 Euro.

Nachfolgend eine Rezension von Reinhard Junker:

Im Herbst 2011 erschien dieser Sammelband mit 13 Beiträgen von 12 Autoren zum Thema Teleologie in der Biologie. In allen Beiträgen geht es in irgendeiner Weise um die Frage, ob und ggf. wie argumentiert werden kann, dass bei der Entstehung der Lebewesen Planung, Zielsetzung, Schöpfung im Spiel war. Alle diese Begriffe können mit dem Sammelbegriff „Teleologie“ zusammengefasst werden. Damit ist die Lehre von den Zwecken und von der Zielgerichtetheit von Vorgängen gemeint. Man kann auch von geistiger Verursachung sprechen.

Gibt es Zwecke in der Natur, die auf einen Zwecksetzer – sprich einen Schöpfer – hinweisen? Kann man anhand von Merkmalen der Lebewesen auf geistige Verursachung schließen? Die Autoren des von Christoph Heilig und Jens Kany herausgegebenen Sammelbandes „Die Ursprungsfrage. Beiträge zum Status teleologischer Antwortversuche in der Naturwissenschaft“ geben auf diese und weitere Fragen rund um Design und Teleologie in der Biologie teilweise gegensätzliche Antworten.

In einem einführenden Teil gibt Christoph Heilig einen systematischen Überblick über verschiedene Antworten auf die Ursprungsfrage und Jens Kany zeichnet einige historische Linien über Antworten zur Ursprungsfrage nach.

Im zweiten Teil geht es in sieben Beiträgen um verschiedene Aspekte des Design-Arguments. Reinhard Junker befasst sich mit dem abduktiven Schluss in der Ursprungsfrage; Thomas Waschke geht der Frage nach, ob sich durch Michael Behe (bekannt durch das Buch „Darwin’s Black Box“ und das Argument der „nichtreduzierbaren Komplexität“) am Design-Argument seit Paley (1802), einem seinerzeit einflussreichen Theologen, etwas geändert habe; Christoph Heilig befasst sich in seinem zweiten Beitrag mit „anonymem“ und „spezifischem Design“. Jens Kany und Henrik Ullrich thematisieren wissenschaftstheoretische Aspekte im Zusammenhang mit Naturwissenschaft und Evolutionstheorien, Josef Bordat thematisiert „Intelligent Design als Grenzgang zwischen Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben“ und schließlich geht der bekannte Philosoph Robert Spaemann auf die Beziehung zwischen Deszendenz (Evolution) und intelligentem Design ein.

Der dritte Teil des Bandes steht unter der Überschrift „Zwecke in der Natur?“ Drei Autoren – Markus Rammerstorfer, Markus Widenmeyer und Hans-Dieter Mutschler – bejahen grundsätzlich die Existenz von Zwecken in der Natur, während das Autorenduo Mathias Gutmann und Willem Warnecke im letzten Beitrag des Bandes ebendies bestreiten und Zwecke in der Natur als Zwecksetzungen bzw. Zuschreibungen des Menschen betrachten. Einen Überblick über den Inhalt des Buches gibt es unter http://ursprungsfragen.blogspot.com/2011/09/inhaltsverzeichnis-des-sammelbands.html (Der Blog wurde abgeschaltet, Stand: 31.10.2019).

Auf einige ausgewählte Beiträge sei im Folgenden kurz eingegangen. In seinem Eingangsartikel unterscheidet C. Heilig in der Ursprungsfrage die ateleologische Position (keinerlei Zielsetzung in den Prozessen der Natur) und die teleologische und unterteilt die teleologische Position in Unterrubriken: „Meta-Teleologie“, „Pseudo-Ateleologie“ und die von ihm so genannte „teleologische Perspektive“. Letztere beinhaltet, dass das Wirken eines Schöpfers an geeigneten Indizien erkannt oder wenigstens plausibel gemacht werden kann. Anders bei der Pseudo-Ateleologie: Damit ist gemeint, dass zwar ein Schöpfer planvoll gehandelt hat, sein Wirken jedoch so geschickt versteckt hat, dass auf der naturwissenschaftlichen Ebene keine Spuren davon erkennbar sind, so dass die Natur so erscheint, als sei bei ihrer Entstehung kein Schöpfer zu Werke gegangen (man kann das mit dem perfekten Verbrechen vergleichen, bei dem es dem Täter gelungen ist, alle Spuren seiner Tat zu verwischen und den Vorgang als natürliches Geschehen erscheinen zu lassen). Der Schöpfer hat also zwar im System gewirkt, aber seine Spuren verwischt. Meta-Teleologie meint dagegen, dass der Schöpfer nicht im System gewirkt habe; die Teleologie befindet sich hier vollständig außerhalb des Systems, das betrachtete System (z. B. ein Lebewesen oder eines seiner Organ) ist in seiner (erstmaligen) Entstehung alleine durch natürliche Prozesse entstanden, genauso wie bei der ateleologischen Position, dennoch sei das Ganze ein Ergebnis von Planung. Inwiefern in diesem Fall überhaupt von Teleologie gesprochen werden kann, ist unklar. Weder in Heiligs Artikel noch in einer Diskussion dazu auf seinem Blog wird klar, welchen Inhalt Meta-Teleologie überhaupt haben soll, da auch „Vorprogrammierung“ (wie z. B. bei einer Roboterstraße) nicht damit gemeint ist (das wäre eine Spielart der „teleologischen Perspektive“ und wird von manchen Befürwortern von „Intelligent Design“ vertreten). Dies ist insofern bedeutsam, als diese Position in der Ursprungsfrage heutzutage von der Mehrheit der Theologen vertreten wird, indem sie eine ungerichtete, ateleologische Evolution der Lebewesen anerkennen und dennoch von einer „Schöpfung“ sprechen (theistische Evolution), wobei völlig unklar ist, was der Schöpfer überhaupt tut. Eine treffende Analyse dazu bietet Kaiser (2008) aus theologischer Sicht.

Jens Kany zieht eine Linie von der Antike bis zu Gegenwart und zeichnet in groben Zügen den Weg von einer teleologischen Weltsicht zum ontologischen Naturalismus der Gegenwart nach. Er zeigt auf, dass die Antike eine für uns Heutige ungewohnte Einheit der Weltsicht von einer „totalen Teleologie“ hatte, die erst ab dem 12. Jahrhundert durch das Christentum aufgebrochen worden sei in ein Reich der Notwendigkeit und ein Reich der Freiheit. Das Reich der Notwendigkeit umfasse die naturwissenschaftlich erforschbare Welt, die ohne Bezug auf teleologische Wirkfaktoren erklärt werden könne (methodologischer Naturalismus). Kant habe dann gezeigt, dass eine „denkende Substanz“, die Existenz Gottes nicht beweisbar sei, aber auch nicht das Gegenteil. Dennoch entwickelte sich die Forschung einseitig in eine Richtung, die jegliche Teleologie verdrängte und in der das Reich der Notwendigkeit als einzige Realität verbleibt.

Bemerkenswert am Beitrag von Thomas Waschke über das vom Biochemiker Michael Behe in die Diskussion gebrachte Argument von der nichtreduzierbaren Komplexität ist das Zugeständnis, dass Behe gegenüber dem Design-Argument von William Paley (1802) neue Aspekte in die Diskussion gebracht habe. Er habe anders als andere vor ihm gezeigt, dass die „black boxes“ der Zellen, nämlich die in ihnen wirksamen molekularen Maschinen, die Anwendung der Argumentation Paleys auf die Organismenwelt ermöglichten oder mindestens verbesserten. Zudem habe Behe mit dem Argument von der nichtreduzierbaren Komplexität gezeigt, dass die Selektionstheorie Darwins nicht die Kraft habe, das Design-Argument zu widerlegen (Behe 1996). Solche Zugeständnisse liest man selten von einem Kritiker des Design-Arguments. Natürlich bleibt Thomas Waschke hier nicht stehen, sondern versucht aufzuzeigen, warum trotz dieser Fortschritte das Argument für Intelligent Design nicht überzeugend ist. Dazu müsse man alle Wege ausschließen, die ohne Eingriffe eines Designers auskommen und man müsste ein Aussagesystem konstruieren, in dem „Design“ vorkomme, so wie in physikalischen Systemen beispielsweise „Schwerkraft“. Beide Forderungen sind aber prinzipiell unerfüllbar, jedoch auch ungerechtfertigt, zum einen weil ein vollständiges Wissen erforderlich wäre, zum anderen weil „Design“ als kreativer Akt überhaupt nicht mit einer physikalischen Größe vergleichbar ist. Daher kann man nur mit einem Schluss auf die beste Erklärung oder den einzig bekannten Erklärungstyp argumentieren; ein Schlussverfahren, das Waschke in seinem Artikel erwähnt, aber gerade hier nicht anwendet. Im Weiteren wendet er den Analogieschluss auf Design in einer Strenge an, die Analogieschlüsse generell unmöglich machen würde, insbesondere auch bei der Anwendung auf Evolution, wo wesentliche Aussagen auf Analogieschlüssen beruhen. (Es ist geplant, an anderer Stelle ausführlicher auf Waschkes Argumentation einzugehen, da eine ausführliche Kritik den Rahmen dieser Rezension sprengen würde.)

Einige Beiträge des Bandes sind bereits in identischer oder ähnlicher Form an anderer Stelle erschienen. Der Beitrag von Markus Rammerstorfer beispielsweise ist eine Zusammenfassung wichtiger Argumentationslinien von zwei seiner Publikationen (siehe dazu die Rezensionen „Lebewesen und Design“ und „Nur eine Illusion? Biologie und Design“). Dennoch findet sich auch für bereits einschlägig Belesene einiges an Neuem; gerade für dieses Publikum bietet das Buch eine weiterführende Diskussion. Aber auch für interessierte Einsteiger lohnt sich die Lektüre des Bandes von Heilig & Kany. Es ist ein Verdienst der Herausgeber, ein breites Spektrum von Autoren, Positionen und Argumenten zusammengebracht zu haben. Die Autoren haben ihre Beiträge unabhängig von den Beiträgen der anderen Autoren verfasst, wobei natürlich teilweise die Argumente aus anderen, früheren Publikationen bekannt waren, so dass manche Autoren auf die Argumente der Gegenposition eingehen. Dies geschieht aber insgesamt relativ wenig, so dass die gegensätzlichen Positionen unverbunden nebeneinander stehen. So kann die Kritik am Design-Argument, die Heilig formuliert, nur dann richtig verstanden werden, wenn einem die kritisierte Position durch Originalpublikationen vertraut ist (Junker 2010), da die von ihm kritisierten Ansätze und die Argumentation ihrer Vertreter nicht systematisch in der nötigen Ausführlichkeit dargestellt, sondern hauptsächlich im Rahmen der vorgetragenen Kritik aufgegriffen werden. Interessant wäre beispielsweise auch, was Gutmann & Warnecke auf die Argumente von Rammerstorfer, Widenmeyer und Mutschler zum Thema „Zwecke in der Natur“ entgegnen würden. Anders herum gibt es dagegen indirekt Gegenkritik. Manche Argumente von Gutmann & Warnecke werden von den anderen drei Autoren des dritten Teils des Buches aufgegriffen; man sollte dazu diesen Teil von hinten nach vorne lesen. Es bleibt dem Leser überlassen, seine eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen und er muss sich selbst die Mühe machen, die einzelnen Beiträge zu vergleichen, was ja nicht schlecht ist, aber einige Mühe erfordert. Jedenfalls lädt der Band zu einer weiteren kontroversen Diskussion ein und dies ist auch konkret möglich auf dem von Christoph Heilig neu eröffneten Blog http://ursprungsfragen.blogspot.com (Der Blog wurde abgeschaltet, Stand: 31.10.2019). Dort sind die Zusammenfassungen einiger Beiträge veröffentlicht und es kann darüber diskutiert werden. Allerdings ist eine Lektüre der jeweiligen Artikel kaum verzichtbar, um in die Diskussion einsteigen zu können, denn dazu muss man auch die Argumente kennen. Die auf dem Blog bislang veröffentlichten Zusammenfassungen reichen dafür nicht aus.

Christoph Heilig ist einigen Lesern unserer Homepage sicher von seinem früheren Engagement bei Wort und Wissen bekannt. Daher mag es manche überraschen, dass er mittlerweile dem Design-Argument nicht mehr viel abgewinnen kann. Die Gründe legt er in seinem zweiten Artikel dar, der über 1/6 des gesamten Buches ausmacht. Markus Widenmeyer und ich haben dazu eine Entgegnung verfasst, in der zunächst das von Heilig kritisierte Design-Argument und dann dessen Kritik daran erläutert werden, bevor eine Entgegnung folgt. Ebenfalls in diesem Artikel wird der Beitrag von Gutmann & Warnecke beleuchtet. Er wurde veröffentlicht unter der Adresse http://www.wort-und-wissen.de/artikel/a10/a10.pdf (11 Seiten, 250 KB).

Literatur

Behe M (1996)
Darwin’s Black Box. The Biochemical Challenge to Evolution. New York. (Deutsch 2007: Darwins Black Box, Gräfelfing)
Junker R (2010)
Spuren Gottes in der Schöpfung? Eine kritische Analyse von Design-Argumenten in der Biologie. Holzgerlingen, 2. Auflage.
Junker R & Widenmeyer M (2011)
Zwei Kritiken am Design-Argument.
Kaiser B (2008)
Die EKD und die Abschaffung der Schöpfung. Eine Stellungnahme zur aktuellen Kreationismusdebatte aus theologischer Sicht.
Paley W (1802)
Natural Theology. (Reprint 2005 Coachwhip Publications, Landisville, Pa.)

Links zum Buch und Diskussionen darüber