Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 19. Jg. Heft 1 - Mai 2012
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18. Jahrgang / Heft 1 - April 2011
Titelbild: Die Papageien bilden einen klar abgrenzbaren Grundtyp und eine in sich recht geschlossene Gruppe. Das Bild zeigt den Gelbbrustara, Ara ararauna (Foto: fotolia.com)



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Themen

H. Kutzelnigg
Grundtypstudien an Papageien
R. Junker
Der Ursprung der Fledermäuse. Teil 1: Fossilien und der Flugapparat
J. Sohns
Emergenz und Selbstorganisation in der Natur

Kurzbeiträge

R. Junker
Konvergente Kooption von Pax-Genen. Oder: Was einmal taugt, taugt auch mehrmals
R. Junker & H. Ullrich
Spezialisierter Sauerstofftransport: zweimal unabhängig „erfunden“
H. Binder
Bernsteinfunde in Afrika und Indien: Einschlüsse geben Einblick in vergangene Lebensräume
H. Binder
Dunkle Seiten des Genoms
W. Lindemann
Gleiches Gift bei Spitzmaus und Echse
H.-B. Braun
Pünktchen und Streifen. Warum sind die Raubkatzen so schön und doch so unterschiedlich?

Streiflichter

Füchse ähnlich wie Hunde zähmbar
Immer wieder „explosiv“: Fossilien des Kambriums
Landpflanzen bereits im Kambrium?
Neues von den Dinos
Langzeit-Experiment mit Drosophila – weniger Evolution als gedacht
Hummeln lösen das Problem des Handlungsreisenden
Bakterien mit Arsen-Biochemie?
Erbsenlaus-Bakterien-Symbiose auf molekularer Ebene untersucht
Hornissen erzeugen möglicherweise Solarstrom
Meeresschildkröten navigieren mit dreidimensionalen Magnetfelddaten

Rezension

R. Junker
Evolutionstheorie – Akzeptanz und Vermittlung im europäischen Vergleich (Dittmar Graf, Hg.)
S. Namsor
Geology and Religion – A history of harmony and hostility (Martina Kölbl-Ebert, Hg.)

Editorial

Gebrauchsgegenstände werden für einen bestimmten Zweck gemacht. Man kann zum Beispiel mit einem Reißnagel (Reiß- oder Heftzwecke) ein Blatt Papier an eine Pinnwand heften – das ist sein Zweck. Man kann ihn aber auch mit der Spitze nach oben auf einen Stuhl legen und jemanden damit ärgern, der sich darauf setzt, ohne diesen nunmehr etwas gefährlichen Gegenstand zu bemerken – ein klassischer Fall von Zweckentfremdung. Manchmal ergibt es sich auch zufällig, dass sich ein Gegenstand nicht nur für den ursprünglichen Zweck, für den er gemacht wurde, als nützlich erweist, sondern auch für einen ganz anderen. So passten früher sechskantige Bleistifte sehr gut in die Löcher von Tonkassetten, so dass man damit sehr effektiv das Band spannen könnte – ebenfalls eine Zweckentfremdung, jedenfalls wurden Bleistifte nicht zu diesem Zweck hergestellt. Sowohl beim Einsatz für den gedachten Zweck als auch bei zweckentfremdeter Verwendung ist Zielsetzung im Spiel.

Es gehört zu den vielen bemerkenswerten Entwicklungen in der biologischen Forschung der letzten Zeit, dass eine Art Zweckentfremdung vielfach auch bei der Verwendung von Proteinen angenommen werden muss. Mittlerweile scheint es sich dabei nicht um gelegentliche Einzelfälle zu handeln, sondern als Regelfall zu entpuppen: Dieselben Proteine werden in den Organismen gleichzeitig für verschiedene Zwecke verwendet. Ein ebenso schon fast berühmtes wie erstaunliches Beispiel ist die Verwendung von Stoffwechselproteinen für Crystalline in den Linsen von Wirbeltieraugen, die in dichter Verpackung durchsichtig sind. Auf diese Idee muss man erst einmal kommen!

In evolutionstheoretischer Perspektive gibt es aber keine Ideen. Hier bleibt angesichts des Ausschlusses teleologischer – zielgerichteter – Prozesse nur die Möglichkeit, dass es zufällig einmal gepasst hat. Man spricht dann von „Kooption“ oder „Rekrutierung“, was im Grunde dasselbe ist wie eine Zweckentfremdung. Durch einen glücklichen Umstand ergab es sich im obigen Beispiel, dass ein bestimmtes Stoffwechselprotein als Füllstoff von Linsen bestens passte, ohne dass zuvor diese Funktion je beabsichtigt gewesen wäre, denn natürliche Prozesse haben keine Intentionen. Aufgrund der Verteilung verschiedener Crystalline in den Linsen verschiedener Arten muss man sogar annehmen, dass diese Kooption vielfach unabhängig vor sich gegangen sein muss: konvergente Kooption.

Das evolutionäre Konvergenzproblem verfolgt die Biologen also auch beim hypothetischen Vorgang von Kooptionen: Wie kommt es, dass unabhängig voneinander im Detail ähnliche Ergebnisse erzielt werden - ohne Zielvorgabe? Reinhard Junker und Henrik Ullrich erläutern zwei Beispiele konvergenter Kooptionen aus der aktuellen Forschung und zeigen, welche neuen Fragen für die Evolutionsforschung resultieren und weshalb diese Befunde auf Planung hinweisen. Das Thema „Konvergenz“ begegnet uns in dieser Ausgabe auch im Beitrag von Wolfgang Lindemann über die unabhängige Entstehung eines sehr ähnlichen Giftstoffes bei einer Spitzmaus und der Skorpion-Krustenechse.

Über Grundtypstudien bei Papageien berichten Lorents Landgren, Lukas Gustafsson und Herfried Kutzelnigg. Sie zeigen, dass die Papageien in vielerlei Hinsicht eine klar abgegrenzte Vogelordnung sind, die deutliche interne Verbindungen zeigt. Wie in vielen anderen Grundtypen kann die Verteilung der Merkmale innerhalb der Gruppe am besten verstanden werden, wenn man von einer genetisch polyvalenten Ausgangsgruppe ausgeht. Das bedeutet, dass ein großes Potential an Ausprägungsmöglichkeiten bereits zu Beginn angelegt war. Eine Bestätigung dieses Konzepts liefern auch Untersuchungen über die Ausbildung der Fellmuster bei den Katzenartigen, über die Hans-Bertram Braun berichtet.

In der Diskussion über Lebensentstehung und Evolution ist häufig von Emergenz und Selbstorganisation die Rede. Joachim Sohns führt in seinem Artikel in die Diskussion dieser Begriffe ein und zeigt, dass sie mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet werden und für sich genommen keinen Erklärungswert besitzen. Vielmehr muss die Aussagekraft jedes einzelnen, konkreten Modells beurteilt werden. Werden in den Modellen zu starke Vereinfachungen vorgenommen, haben sie nur eine geringe Aussagekraft.

In Zusammenarbeit mit Regine Tholen haben wir nach 17 Jahrgängen dem Studium Integrale Journal ein neues Gesicht gegeben: Mehr Farbe und auch Änderungen in der Textgestaltung. Wir hoffen, dass damit die Lektüre erleichtert und das Studium der Artikel attraktiver wird. Viel Vergnügen und neue Impulse mit dem neu gestalteten Journal wünscht Ihnen

Ihre Redaktion Studium Integrale journal



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