Studium Integrale Journal - Home Studium Integrale Journal 17. Jg. Heft 1 - Mai 2010
Druckerfreundliche Ansicht dieser Seite


Rechnen mit DNS

von Eberhard Bertsch & Peter Imming

Studium Integrale Journal
17. Jahrgang / Heft 1 - Mai 2010
Seite 16 - 20


Zusammenfassung: DNS-Moleküle enthalten in kodierter Form den Bauplan für Proteine, die in Lebewesen als Baustoffe oder Biokatalysatoren fungieren. Der Bauplancharakter und die – verglichen mit anderen Biopolymeren – relativ leichte Herstellbarkeit von DNS wird gentechnisch inzwischen vielfältig genutzt. Die Möglichkeiten der menschlichen Nutzung von DNS beschränken sich jedoch nicht darauf. Seit etwa zwanzig Jahren wird theoretisch und experimentell daran gearbeitet, DNS-Sequenzen auch als Träger von Rechenoperationen nutzbar zu machen, also „Computer“ zu bauen, deren Kernbestandteile Nukleotidketten und Eiweiße sind. Von besonderer Bedeutung war dabei ein Experiment von Adleman (1994), das die prinzipielle Lösbarkeit einer bekannt schwierigen mathematischen Aufgabe demonstrierte. Es konnte gezeigt werden, dass auf DNS-Molekülen Programme für beliebige Zwecke darstellbar sind. Der Sachverhalt legt somit den Vergleich mit einer technischen Hardware für darauf programmierte Software nahe. Nach Auffassung der Autoren ist er ein weiteres Indiz dafür, dass DNS als ein intelligentes Konstrukt angesehen werden sollte und nicht als Produkt undurchdachter Zufälle und Notwendigkeiten.




Einführung

In diesem Artikel möchten wir ein Thema vorstellen, das seit etwa zwei Jahrzehnten von Fachleuten bearbeitet wird und in dieser Zeit zu vielen theoretischen und praktischen Ergebnissen geführt hat, aber wegen der Komplexität der Fragestellung bisher noch nicht in der breiten Öffentlichkeit bekannt ist. Es geht um das Rechnen – genauer: die Informationsverarbeitung – mit Desoxyribonukleinsäure, abgekürzt DNS, dem Trägermaterial der genetischen Eigenschaften aller Lebewesen. Es geht nicht um die Struktur von DNS als solcher, um Gentechnik oder Gentherapie, sondern wir zeigen einen erstaunlichen weiteren Aspekt der ohnehin genial konstruierten DNS auf.

Abb. 1: Aufbau der DNS. Links Doppelhelix, Z = Zucker Desoxyribose, P Phosphatrest. Rechts die vier Grundbausteine (Basen) der DNS. Je zwei Basen passen genau zueinander und sind daher „komplementär“. Die Basenpaarung erfolgt über Wasserstoffbrücken (gepunktete Linien). Mittels der DNS-Sequenz (Abfolge) werden die Reihenfolgen der Aminosäuren in den Proteinen programmiert. Ein Triplett steht für eine Aminosäure. (Aus Junker & Scherer 2006)

Heute übliche Rechner (Computer) funktionieren auf der Grundlage eng vernetzter („integrierter“) elektronischer Schaltungen. Deren elementare Bausteine sind Feldeffekt-Transistoren, zumeist aus Silizium, von denen viele Millionen auf einer Fläche von der Größe eines Fingernagels untergebracht sind. Vor der Entdeckung und technischen Nutzung von Transistoren um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es mechanische und elektromechanische Rechner, deren Funktion auf anderen physikalischen Grundlagen beruhte.

Auch mit optischen, sogar mit hydraulischen Bauteilen könnten Rechner konstruiert werden.

Hier ist nun die Rede vom Rechnen mit DNS, also der Nutzung einer in Lebewesen vorkommenden Substanz als Träger der Rechenschritte (s. Glossar, „Informationsverarbeitung“). Die Rechen- und Speicherungsschritte, die in heutigen Computern mit elektromagnetischen Mitteln durchgeführt werden, erfolgen mittels DNS-Ketten. Die allgemeine Struktur von DNS-Sequenzen wird in Abb. 1 gezeigt.

Voraussetzung dafür ist das tiefere Verständnis der molekularen Prozesse in lebenden Zellen, das seit etwa Mitte der sechziger Jahre gewonnen wurde. Zwar handelt es sich für die praktische Anwendung um Zukunftsmusik. Aber es gibt durchaus Gründe, warum Rechnen mit DNS Vorteile gegenüber klassischem Rechnen haben könnte. Hauptsächlicher Vorteil ist die gleichzeitige Ausführbarkeit einzelner Schritte an sehr vielen Stellen innerhalb eines kleinen Volumens – sozusagen ein weiteres nanotechnologisches Verfahren.Die kompakte Speicherung in DNS-Ketten ermöglicht es, viele Prozesse zwecks Parallelität in einem insgesamt kleinen Raum auszuführen. Parallelität kennen wir auch von der Informationsverarbeitung im Gehirn und im Auge. Die Bildverarbeitung kann in verschiedenen Bereichen des Auges parallel ablaufen. Die 1994 von Leonard Adleman veröffentlichte Beschreibung eines Experiments, bei dem mit DNS-Molekülen gerechnet wurde, führte zu großem Aufsehen in der Fachwelt. Das Experiment benutzt DNS zur Ausführung eines Algorithmus, der mathematische Fragen aus der Graphentheorie löst.

Die im Experiment zu beantwortende Frage ist, ob es in einem vorgegebenen Graphen eine Kantenfolge gibt, die alle Knoten genau einmal erreicht. Interessanterweise wurde dieses Problem – natürlich ohne die technische Nutzung von Computern oder DNS – schon 1736 von dem berühmten Mathematiker Leonhard Euler behandelt, und zwar anhand der Brücken der Stadt Königsberg (heute Kaliningrad). Die Frage war, ob es einen Rundweg gibt, bei dem man alle sieben Brücken der Stadt über den Fluss Pregel genau einmal überquert. Euler bewies mit einer einfachen Argumentation, dass es keinen solchen Rundweg gab.

Die Lösung solcher Aufgaben erfordert bei großer Knotenanzahl viel Rechenzeit. Wenn man statt sieben Brücken (Kanten) eine größere Anzahl hat, steigt der Zeitaufwand rasend schnell. Durch hohen Parallelitätsgrad – wenn also sehr viel gleichzeitig ausgerechnet wird – lässt sich der Zeitbedarf stark senken. Im Falle des genannten Adleman-Experimentes wurde ein Graph mit sieben Knoten untersucht. Die Berechnung mit DNS dauerte mehrere Tage. Das ist natürlich im Vergleich zum Zeitbedarf eines Computers alles andere als beeindruckend. Das Wichtige und Aufsehen erregende war aber, dass eine Aufgabe dieser Art überhaupt mit DNS berechnet werden konnte.

Wir beschreiben den Aufbau und den Ablauf des Adleman’schen Verfahrens hier in groben Zügen.

Einzelheiten sind Adleman (1994) oder auch dem Lehrbuch von Hinze & Sturm (2004) zu entnehmen.

Jeder Knoten und jede Kante wird durch ein einzelnes DNS-Molekül dargestellt, und zwar durch einen ganz bestimmten DNS-Einzelstrang mit einer bestimmten Sequenz aus 20 Basen (20mer, lineare Abfolge aus 20 Basen). Die Zuordnung zwischen den Objekten im Graphen und den DNS-Einzelsträngen geschieht willkürlich, aber verbindlich. Ein bestimmtes 20mer repräsentiert in allen zusammengesetzten Strängen immer denselben Knoten oder dieselbe Kante. Im Experiment werden 7 Knoten und 14 Kanten verwendet. Die vorderen 10 Basen jeder Kantendarstellung sind komplementär zu den hinteren 10 einer Knotendarstellung, die hinteren 10 der Kantendarstellung sind komplementär zu den vorderen 10 einer anderen Knotendarstellung. Auf diese Weise lassen sich mittels der chemischen Paarungsgesetzmäßigkeiten (A immer mit T, C immer mit G) lange Doppelstränge bilden, in denen der eine Strang aus einer Abfolge von kodierten Kanten und der andere Strang aus einer Abfolge von kodierten Knoten besteht. Die Kantenfolge verbindet Knoten auf einem Pfad innerhalb des dargestellten Graphen. Meistens gibt es in einem einzelnen Graphen viele unterschiedliche Pfade.

Die Abbildung im Kastentext zeigt einen aus zwei Kanten und drei Knoten bestehenden Graphen. Der einfacheren Darstellung halber sind die Stränge nicht 20, sondern nur 6 Basen lang.

Wir wollen den „Weg“ durch den aus drei Knoten 1, 2 und 3 und zwei Kanten (1 , 2) und (2 , 3) bestehenden Graphen (Abb. 2) in Form einer Nukleotidsequenz ausdrücken.

Zu diesem Zweck sei vorab vereinbart, dass die drei Knoten 1, 2 und 3 durch die Nukleotidketten ATCGCA, CGTAGG und TGCAGA und die beiden Kanten (1 , 2) und (2 , 3) durch CGTGCA und TCCACG dargestellt werden müssen, also in der Weise, dass die Darstellung jeder Kante gerade die Komplementärkette zur hinteren Hälfte ihres ersten und zur vorderen Hälfte ihres zweiten Knotens ist.
Dann drückt die folgende Verkettung der drei Knoten 1, 2, 3 im oberen Strang und der beiden Kanten (1 , 2) und (2 , 3) im dazu komplementären unteren Strang gerade aus, dass es einen Weg gibt, der von 1 über 2 nach 3 verläuft.

Knotenfolge
A T C G C A-C G T A G G-T G C A G A
      C G T G C A-T C C A C G
Kantenfolge

Die Bindestriche sind hier an solchen Stellen angegeben, wo Ausgangsketten auf der einen oder anderen Seite des Doppelstrangs zusammengefügt wurden.

Im Adleman-Experiment wurden zunächst Billionen kurzer Ketten für die Knoten und Kanten hergestellt; und es wurde diesen ermöglicht, sich in jeder beliebigen Weise aneinanderzufügen.

Die entstandenen Doppelstränge wurden danach mit molekularbiologischen Methoden daraufhin überprüft, ob sie mit einem bestimmten Teilstück anfingen, mit einem bestimmten anderen aufhörten und dazwischen jedes einen Knoten darstellende Teilstück genau einmal vorkam.

All diejenigen, auf die das zutrifft, sind Lösungen des zuvor beschriebenen mathematischen Problems.

Zunächst wird durch biochemische Synthese dafür gesorgt, dass alle Stränge billionenfach vervielfältigt vorkommen. Dann werden sie in ein gemeinsames Reagenzgefäß umgefüllt. Es wird davon ausgegangen, dass sich alle DNS-Stücke zusammenlagern, die komplementäre Überlappungen aufweisen. Wahrscheinlichkeitsaussagen oder Untersuchungen darüber finden sich allerdings in der Originalarbeit nicht. Damit alle möglichen Stränge mit komplementären Überlappungen entstehen, muss die Menge der in der biochemischen Synthese verwendeten DNS-Stränge in exponentieller Größenordnung in der Menge der Knoten und Kanten des Problems sein. Als nächstes werden unter den nun vorhandenen Ketten nur die weiter verwendet, die mit dem gewünschten Knoten beginnen und mit dem anderen gewünschten Knoten enden.

Labortechnisch geschieht dies durch DNS-Primerstränge* mit bestimmten kurzen Basenfolgen, die eine starke Vervielfältigung für alle mit dieser Basenfolge am Anfang übereinstimmenden Stränge bewirken. Hierbei kommt es außerdem auf die präzise Einstellung der Reaktionstemperatur an.

Dann sind die Stränge mit der richtigen Länge auszuwählen. In der hier beschriebenen Anordnung sind es diejenigen mit einer Länge von 140 Basenpaaren. Dies geschieht auf mechanischem Wege mit Hilfe einer Gelelektrophorese*, die die vorhandenen Stränge nach deren „Länge“ „sortiert“. Stränge mit einem Längenunterschied von etwa 10 Basenpaaren lassen sich so voneinander trennen. Das ist ein Grund für die Wahl der Länge 20 bei den einzelnen Knoten und Kanten.

Nachdem nun diejenigen Stränge ausgewählt sind, die richtig anfangen und richtig aufhören und außerdem die richtige Länge haben, ist noch zu prüfen, ob jeder Knoten in den Strängen vorkommt. Dazu sind so viele weitere Separationen nötig, wie der Graph Knoten enthält. Jeder dieser Schritte folgt einem komplizierten Protokoll, in dem eine Anlagerung von Strängen an den zu einer Knotendarstellung komplementären Strang vorgenommen wird. Dabei wird der vorgegebene Strang biotinyliert*, was die Möglichkeit der räumlichen Fixierung und anschließenden Trennung der ankoppelnden Stränge durch Zentrifugieren zur Folge hat. Sobald nur diejenigen Stränge übrig sein können, in denen jede Kantendarstellung vorkommt, ist zu fragen, ob tatsächlich solche Stränge übrig sind oder nicht. Dazu dient wieder eine Elektrophorese.

Auf mathematischem Wege konnte in den vergangenen Jahren bewiesen werden, dass jede überhaupt mögliche Berechnung (Turing-Berechenbarkeit [Asteroth & Baier 2002]) zumindest prinzipiell – wenngleich in vielen Fällen nur mit unvertretbar hohem Aufwand an Material und Zeit – von DNS-Molekülen durchgeführt werden kann.

Biotinylierung: Biotinylierung ist eine biochemische Methode, bei der z.B. eine makromolekulare Nukleinsäure wie DNS mit einem kleinen Molekül namens Biotin verbunden wird. Die Biotin-Gruppierung bindet sehr stark an bestimmte Proteine, die Avidine. Diese starke Bindung kann benutzt werden, Moleküle mit Biotin-Einheiten aus einem Gemisch „herauszufischen“. Gelelektrophorese: Die Gelelektrophorese ist ein biochemisches Trennverfahren, bei dem die Wanderung von geladenen Teilchen (Molekülen) in einem elektrischen Feld zu ihrer Trennung benutzt wird. Man löst das zu trennende Stoffgemisch und lässt die Lösung durch eine elektrisch neutrale, feste Gelmatrix aus Agarose oder Polyacrylamid wandern. Die Wanderungsgeschwindigkeit hängt von der Stärke des Feldes, der Nettoladung, Form und Größe der Makromoleküle sowie von physikochemischen Eigenschaften der Lösung ab. Graphentheorie: Die Graphentheorie beschäftigt sich mit Strukturen, die aus einzelnen Punkten (genannt Knoten, englisch: nodes) und Verbindungen zwischen diesen (genannt Kanten, englisch: edges) bestehen. Durch direkte Verbindungen zwischen einzelnen Knoten sind dann auch indirekte Verbindungen gegeben, die mehrere Kanten nacheinander durchlaufen, sowie Zyklen, die über mehrere Kanten zum Ausgangsknoten zurückführen. Ein Beispiel für den praktischen Nutzen der Graphentheorie ist die Herstellung und dynamische Änderung von Verbindungen im Telefonnetz oder Internet. Auch das „Problem des Handelsreisenden“ (Travelling Salesman Problem) ist Gegenstand der algorithmischen Graphentheorie. Es geht dabei um Verfahren, die auf einer Landkarte die insgesamt kürzeste Rundreise über alle ausgewählten Städte bestimmen. Mit geringen Änderungen tritt diese Frage auch in der industriellen Fertigung (Robotik) auf. Man kann beweisen, dass optimale Lösungen für große Graphen ebenso schwer zu finden sind wie bei dem von Adleman behandelten Graphenproblem. Informationsverarbeitung: Das Rechnen mit Zahlen, das wir schon in der Grundschule lernen, ist ein spezieller Fall der „Informationsverarbeitung“. Informationsverarbeitung sind alle schrittweisen, nach bestimmten Regeln erfolgenden Veränderungen von Zeichenfolgen. Zeichenfolgen können beispielsweise aus Ziffern oder Buchstaben bestehen. Etwa im Falle der chinesischen Schriftsprache besteht der Zeichenvorrat, mit dem Folgen gebildet werden können, aus Tausenden unterschiedlicher Zeichen. Regeln können lauten: Ersetze Zeichen „1 x 1“ durch das Zeichen „2“, ersetze Zeichen „2 x 2“durch das Zeichen „4“, und so weiter, wenn wir als Beispiel das Multiplizieren nehmen. Eine andere einfache Möglichkeit ist: Ersetze alle „a“ durch „b“, alle „b“ durch „c“, alle „c“ durch „d“ und so weiter. Bei diesem Verfahren handelt sich um eine schon von Gaius Julius Caesar verwendete Verschlüsselungstechnik. Aus informationsverarbeitenden Schritten aufgebaute Verfahren werden Algorithmen genannt. Primer: Primer sind kurze DNS-Sequenzen, die chemisch-synthetisch hergestellt und einem Reagenzgemisch zugesetzt werden, das DNS vervielfältigt. Sie dienen als Startsequenz für DNS-vervielfältigende Enzyme, die DNS-Polymerasen, die im Gemisch enthalten sind. DNS-Polymerasen können nur die Verlängerung eines schon existierenden kurzen DNS-Strangs katalysieren. Die DNS-Vervielfältigung verläuft wie bei der Zellteilung lebender Zellen.

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

Anwendungen

Von praktischer Bedeutung sind wohl auf absehbare Zeit nur ganz bestimmte Vorgänge, bei denen der Mensch als Experimentator die Bedingungen weitestgehend vorgibt und dann die DNS-Moleküle einzelne Schritte selbstständig durchführen lässt. Folgend sei als Beispiel genannt, dass Genexpressionsprofile mittels DNA-Computing („Rechnen“ mit DNS) schneller und automatisiert ermittelt werden. Die Analyse von Genexpression ist für Grundlagen- und angewandte medizinische Forschung von sehr hoher Bedeutung (z.B. Kuner et al. 2009).

Das menschliche Genom, das aus mehreren Milliarden Basenpaaren besteht, ist in langjähriger Arbeit von verschiedenen Forschergruppen sequenziert worden. Es liefert den Bauplan der vom Organismus gebildeten Eiweiße. Die Definition des Begriffs „Gen“ ist kompliziert und derzeit sehr umstritten (Pearson 2006). Man kann unter Gen den für ein Protein kodierenden Abschnitt einer DNS verstehen. Nicht alle Gene werden gleichzeitig abgelesen (transkribiert), sondern sie unterliegen selbst einem komplizierten Geflecht von Einflüssen und Regulationen. Es ist deshalb von Interesse zu wissen, welche Gene unter welchen Bedingungen aktiv sind. Dies findet man experimentell durch Erstellung von Genexpressionsprofilen heraus.

Die konventionelle Vorgehensweise erfordert eine Vielzahl manueller Laborschritte, die dann von einem elektronischen Rechner weiterverarbeitet werden, um das Expressionsprofil zu gewinnen. Als Nachteil gilt, dass die Schnittstelle zwischen der manuellen Arbeit und der elektronischen Verarbeitung schwierig zu beherrschen ist. Diese Schnittstelle verschwindet bei einem kommerziellen einsatzfähigen DNS-Computer, der von einer japanischen Firma entwickelt wurde (Hinze & Sturm 2004, 290).

Er automatisiert und parallelisiert erforderliche Laborarbeitsschritte. Vor allem übernimmt „die Biochemie“ in Form des DNA-Computing einen Teil der Datenauswertung. Sie ermöglicht es, die absolute Menge von Gen-Transkripten zu bestimmen (Nishida et al. 2001). Erst am Schluss ist eine selbständige Datenübernahme und Auswertung auf elektronischem Wege angekoppelt. Der DNS-Computer ist somit in der Lage, Genexpressionsprofile bei hoher Geschwindigkeit automatisiert und kostengünstig zu erstellen. Dieses Gerät gilt als Prototyp für Spezialrechner zur Bearbeitung ähnlich aufwändiger Aufgaben.

Man kann sich noch andersartige und wesentlich weitergehende Anwendungen gut vorstellen. Es ist aber klar, dass außerhalb molekularbiologischer Fragestellungen in absehbarer Zeit keine Übernahme des elektronischen Rechnens durch alternative, molekularbiologische Geräte ansteht. PCs und Laptops werden auch in Zukunft mit Siliziumchips bestückt und nicht etwa mit Reagenzgläsern, in denen Proteine und Nukleotidsequenzen schwimmen.

In jüngster Zeit wurden mit lebenden Coli-Bakterien Experimente durchgeführt, die demjenigen von Adleman konzeptionell ähnlich sind (Baumgardner et al. 2009). Allerdings wurde dabei auf molekularbiologischer Ebene anders vorgegangen. Bestimmte Enzyme aus einem bakteriellen Organismus (Salmonella typhimurium) schneiden Gene aus Plasmiden (DNS-Sequenzen außerhalb der Haupt-DNS) heraus und weitere Enzyme fügen sie an anderer Stelle wieder ein. In einem einzelnen Coli-Bakterium können über 100 Plasmide vorkommen. Auf diese Weise sind fast beliebige Vertauschungen innerhalb von Nukleotidketten darstellbar. Durch gezielte Wahl der äußeren Bedingungen lassen sich solche Veränderungen zum Rechnen benutzen. Man kann dabei von einer molekularbiologischen Programmierung sprechen. Das oben beschriebene graphentheoretische Verfahren kommt allerdings bislang über die Größenordnung von drei Knoten und drei Kanten nicht hinaus, wenn Coli-Bakterien eingesetzt werden. Aus mathematischer Sicht sind die vorhandenen Möglichkeiten also völlig trivial. Wie zuvor sind riesige Mengen von Nukleotidketten nötig, in diesem Falle Billionen von Bakterien mit Plasmiden, während die erreichbare Rechengeschwindigkeit in etwa durch die Zellteilung der Mikroorganismen begrenzt ist. Der Zeitbedarf einer einzelnen Zellteilung liegt bei 20 bis 30 Minuten. Ein eher beiläufiger Aspekt des Projekts von Baumgardner et al. ist die Tatsache, dass Gene verwendet wurden, die Proteine für rote und grüne Fluoreszenz kodieren. Die Bakterienkulturen unterscheiden sich farblich, je nachdem welche Kombination von Vertauschungen stattgefunden hat. Dieser Effekt ist allerdings ohne prinzipielle Bedeutung; beim Arbeiten mit Graphen, die vier oder mehr Knoten enthalten, wäre er schon nicht mehr einsetzbar.

Leider lassen sich die Kerngedanken der mathematischen Argumentation weder anhand einfacher Beispiele erläutern noch allgemein verständlich zusammenfassen. Voraussetzung zum Verständnis solcher Arbeiten sind Kenntnisse in Theoretischer Informatik (Automatentheorie). Die dort üblichen abstrakten Konzepte werden durch molekulare Mechanismen simuliert, insbesondere – in einem der praktisch aussichtsreichen Szenarien – durch sogenannte Splicing-Systeme. Diese umfassen Restriktionsenzyme (Digestion) und Ligasen (Ligation). Einzelheiten sind dem Buch von Hinze & Sturm (2004) und der Originalliteratur über Theoretische Informatik zu entnehmen, in der Splicing-Systeme ein neueres Arbeitsgebiet darstellen.

In jüngster Zeit haben Forscher am Weizmann-Institut in Israel ein System aufgebaut, das zur Ausführung molekularbiologischer Rechenschritte keine Tage oder Stunden, sondern nur wenige Minuten braucht (Ran 2009). Neu ist dabei auch, dass die Programme nicht problemspezifisch entworfen wurden, sondern die bekannte Programmiersprache PROLOG als konzeptionelle Grundlage diente.

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

Die erstaunlichen Eigenschaften des Moleküls DNS

Tragen solche Überlegungen auch zur Beantwortung naturwissenschaftlicher Ursprungsfragen bei? Hilft uns die Kenntnis der informatischen Möglichkeiten von DNS-Molekülen im Sinne des Rechnens mit DNS-Material beim Erforschen der erstmaligen Entstehung solcher Moleküle?

Der Eindruck, den man beim Studium der einschlägigen Arbeiten gewinnt, ist, dass hier in ganz erheblichem Maße von autonomen Prozessen Gebrauch gemacht wird, allerdings in äußerst präzise kontrollierter und geplanter Weise. Die DNS-Stränge finden sich aufgrund der ungerichteten Molekularbewegung und binden mittels “anonymer” chemischer Kräfte aneinander. Diese naturgesetzlichen Vorgänge sind aber nur der Unterbau einer ganz anders gearteten Beziehung, die dem entspricht, was man in der Sprache der Informatik

DNS bringt eine informatische Prägung mit, die wir Materie nicht zutrauen
könnten, wenn sie nur durch Zufall und
Notwendigkeit geformt worden wäre.

als Programm bezeichnet. Die Kombination (Bindung aneinander) von DNS-Strängen basiert auf dem – von uns Menschen in der Natur vorgefundenen – klar definierten genetischen Code: Bestimmte chemische Assoziationen entstehen, andere werden vermieden. Außerdem korrespondiert der DNS/RNS-Code mit dem Protein-Code, der physikalisch-chemisch nicht direkt mit ihm zusammenhängt und nicht naturgesetzlich aus ihm hervorgeht. Es handelt sich also tatsächlich um eine Programmierung in dem aus der sonstigen Technik bekannten Sinne. So wie ein aus Silizium und Metall gefertigter Chip – aber nicht die „rohen“ Baumaterialien für den Chip – nach dem Willen des Designers in geplanter Weise schaltet, sind die Bedingungen auch hier so eingerichtet, dass manche Schritte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollzogen und andere mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit vermieden werden. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Codierung zufällig oder zwangsläufig („naturgesetzlich“) entstehen kann. Die rechentechnischen Konzepte sind nicht etwas, das den DNS-Bausteinen und den aus ihnen gebildeten Ketten mit Hunderten oder Tausenden solcher Bausteine aufgrund ihrer Eigenschaften innewohnt, sondern sie bringen die Absichten eines menschlichen Designers zum Ausdruck. Die Nukleotide A, T, G und C – die Bausteine der DNS – haben nichts mit graphentheoretischen Algorithmen zu tun. Sie bilden aber ein geeignetes Substrat für die Ausführung von Algorithmen. Darin sind sie der technischen Hardware vergleichbar.

Diese Überlegungen haben unseres Erachtens keine unmittelbaren Folgen für die Frage, ob die ersten Lebewesen geplant oder ungeplant entstanden. Allerdings ist die universelle Verwendbarkeit des Ausgangsmaterials für Rechenvorgänge etwas, das mit der schöpfungsorientierten Sicht in hohem Maße übereinstimmt und bei dieser Sicht sogar erwartet werden kann. DNS weist Eigenschaften und Möglichkeiten auf, die wir Baumaterialien wie Silizium und Metallen erst intelligent durch die Konstruktion von Schaltungen aufprägen müssen. Auch die Elemente, die DNS konstituieren (Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Phosphor), sowie ihre molekularen Bausteine (Basen, Ribose, Phosphat bzw. Nukleotide) tragen den molekularen Code nicht in sich. Dass DNS-Moleküle fähig sind, Tausende von biochemischen Programmen darzustellen, ist seit einem halben Jahrhundert bekannt; dass die Programmierbarkeit von Nukleotidketten den Rahmen rein biologischer Aufgabenstellungen weit übersteigt, kommt als jüngere und höchst erstaunliche Einsicht hinzu. DNS bringt eine informatische Prägung mit, die wir Materie nicht zutrauen könnten, wenn sie nur durch Zufall und Notwendigkeit geformt worden wäre.

Zum Inhaltsverzeichnis  Zur Literaturliste

Literatur

Adleman M (1994)
Molecular computation of solutions to combinatorial problems. Science 266, 1021-1024.
Asteroth A & Baier C (2002)
Theoretische Informatik. Pearson Studium.
Baumgardner J, Acker K, Adefuye O, Crowley ST, DeLoache W, Dickson JO, Heard L, Martens AT, Morton N, Ritter M, Shoecraft A, Treece J, Unzicker M, Valencia A, Waters M, Campbell AM, Heyer LJ, Poet JL & Eckdahl TT (2009)
Solving a Hamiltonian Path Problem with a bacterial computer. Journal of Biological Engineering 3, 11.
Hinze T & Sturm M (2004)
Rechnen mit DNA. Oldenbourg Wissenschaftsverlag.
Kuner R, Hoffmann H & Sültmann H (2009)
Genexpressionsstudien beim Lungenkarzinom – Experimentelle Forschung und klinische Anwendung. Dtsch. Med. Wochenschr. 134, 519-521.
Imming P & Bertsch E (2007)
Zufall und Notwendigkeit erklären den Ursprung des Lebens nicht. Stud. Int. J. 14, 55–65.
Ran T, Kaplan S & Shapiro E (2009)
Molecular implementation of simple logic programs. Nature Nanotechnology 4, 642-648.
Nishida N, Wakui M, Tokunaga K & Suyama A (2001)
Highly Specific and Quantitative Gene Expression Profiling Based on DNA Computing. Genome Inform. 12, 259–260. Siehe auch „Development of World’s First DNA Computer for Gene Analysis“ (http://www.olympus-global.com/en/news/2002a/nr020128dnacome.cfm, 28 Jan 2002).
Pearson H (2006)
What is a gene? Nature 441, 398-401.

zum Seitenanfang

Studium Integrale Journal 17. Jg. Heft 1 - Mai 2010