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Sedimentologie: Paradigmenwechsel zum
Ablagerungsmechanismus von Ton und Silt

von Michael Kotulla

Studium Integrale Journal
24. Jahrgang / Heft 2 - Oktober 2017
Seite 78 - 87
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Zusammenfassung: Feinkörnige Sedimentgesteine machen den größten Teil der sedimentären Überlieferung aus. Wie aber entstanden sie? Wie wurden die feinen Partikel abgelagert? Wohl nicht hauptsächlich – wie bisher geglaubt – aus einer Suspension (Partikel-Absatz), langsam und kontinuierlich in stillem Wasser, sondern wahrscheinlich als Aggregate durch bodennahe Strömungen (Bodenfracht), also unter höher-energetischen Bedingungen und rasch. Diesen Schluss legen neuartige Experimente zur Sedimentation von Ton und Silt nahe. – Die Ergebnisse fordern, so Experten, zu einer kritischen Neubewertung aller ausgewiesenen „Stillwasser-Ablagerungen“ auf.




Einführung

Die Aufforderung zu einer kritischen Neubewertung aller „mudstones“ (Tonsteine und Siltsteine) der gesamten geologischen Überlieferung liegt zehn Jahre zurück, abgedruckt im Wissenschaftsmagazin Science (Macquaker & Bohacs 2007).1 Sie bezieht sich auf die große Mehrheit von Tonsteinen (bzw. Siltsteinen), die bisher als „Stillwasser“-Ablagerungen interpretiert wurden. Die Auswirkungen sind möglicherweise umfassend: Denn es ist weit verbreitet, von feinkörnigen Sediment(gesteins)folgen Zustände und Bedingungen der geologischen Vergangenheit für Systeme wie Klima, Ozean, Sonne2 u. v. m. abzuleiten.3

Im Folgenden werden die vorherrschende Vorstellung über den Ablagerungsmechanismus von Ton (bzw. Silt) skizziert, die neuartigen Gerinne-Experimente der Indiana University (USA) vorgestellt und die Gründe für den Paradigmenwechsel aufgezeigt. Schließlich werden an zwei Beispielen jurassischer Tonstein-Folgen in Großbritannien Implikationen hinsichtlich der Ablagerungsbedingungen und Ablagerungszeit diskutiert. Zunächst bedarf es aber einer kurzen Übersicht und der Bestimmung einiger Begriffe.

Abb. 1: Kimmeridge Bay (Südengland) bei Kimmeridge, Ausschnitt des Westteils der Bucht. Der Küstenaufschluss ist die traditionelle Typus-Lokalität der Tonsteinfolge der Kimmeridge-Clay-Formation (Oberjura). Die dominanten, im verwitterten Zustand bräunlichen Bänke sind karbonatische Lagen. Die Schichten fallen leicht nach Osten ein; im Vordergrund die prominente „Washing Ledge“-Dolomitbank. Die Fossilien des Kimmeridge Clay sind teilweise exzellent erhalten (s. Abb. und Kasten 2). (Foto: M. Kotulla, 2016)

Neuartige Laborversuche zeigen, dass sogar feinkörnige siliciklastische Sedimente (Ton, Silt) und feinkörnige Karbonatsedimente unter höher-energetischen Bedingungen entstehen können; so werden Aggregate (Flocken) durch schnell bewegende Strömungen als Bodenfracht transportiert und abgelagert (oder teilweise wieder erodiert und erneut abgelagert). Dabei entstehen Feinstrukturen, wie sie in feinkörnigen Sedimentgesteinen der gesamten sedimentären Überlieferung beobachtet werden können. Werden die Laborbedingungen der Entstehung allgemein auf die geologische Überlieferung übertragen, ist anzunehmen, dass mehrheitlich dynamische, höher-energetische Bedingungen in den einstmaligen Sedimentationsbecken vorgeherrscht haben müssen.

Ein Paradigmenwechsel zum Ablagerungsmechanismus von Ton und Silt ist darin begründet, dass bislang der Idee gefolgt wurde, dass feinkörnige Sedimentgesteine im Wesentlichen lange Zeit in Anspruch nehmende (Stillwasser-)Ablagerungen repräsentieren; hierfür gilt als Mechanismus ein Einzelkorn-Niederschlag aus einer Suspension (Schwebfracht) in der Wassersäule.

Aggregate und höher-energetische Bedingungen implizieren – wie bei Sanden – eine rasche Ablagerung. Ein weiteres Indiz für rasche Ablagerung ist – im Fall des Kimmeridge Clay – eine rasche Sedimentüberdeckung, die sowohl für die Erhaltung und Konservierung des hohen organischen Gehaltes als auch der Makrofossilien notwendig gewesen ist. Hinsichtlich der Bildungszeit solcher Ablagerungen bzw. der reinen Sedimentationszeit verlagert sich die Diskussion hin zu einer Bewertung der Zeitdauer, die möglicherweise in Schicht- und Erosionsflächen und durch Nicht-Sedimentation „überliefert“ sein könnte. Im Fall der „Jet-Rock-Tonsteine“ sind keine längeren Sedimentationsunterbrechungen ersichtlich oder begründet anzunehmen; der für diese Sedimentfolge vorgegebene (radiometrisch geeichte) Langzeit-Rahmen ist aufgrund der geologisch-sedimentologischen Indikation nicht plausibel.

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Feinkörnige Sedimente und Sedimentgesteine: Ton und Silt, Tonsteine und Siltsteine

Feinkörnige (siliciklastische4) Sedimentgesteine sind häufig Mischgesteine der Kornfraktionen Ton (< 0,002 mm) und Silt (0,002 bis < 0,063 mm)5, wobei Ton-vorherrschende Folgen in der sedimentären Überlieferung zu überwiegen scheinen.

Petrographisch* sind Ton und Silt feinklastische, unverfestigte Sedimente. Ton besteht hauptsächlich aus Tonmineralien, daneben Quarz und Feldspäten und untergeordnet Karbonaten. Das verfestigte Sediment wird als Tonstein bezeichnet; (unechte) „Schiefer“ (s. u.) und Schiefertone sind Tonsteine, (echte) Tonschiefer dagegen sind bereits durch Druck und Temperatur veränderte (schwach metamorphe) Gesteine. Silt kann eine ähnliche mineralogische Zusammensetzung wie Ton aufweisen, sie kann aber auch deutlich abweichen: z. B. ein Grobsilt mit einer Dominanz von Quarzkörnern. Das verfestigte Sediment wird Siltstein genannt.6

Hinweis zu den Anmerkungen: Die Anmerkungen enthalten Belegzitate und weitere Informationen; sie können als Zusatzmaterial zum Artikel hier (sedimentologie.pdf) heruntergeladen werden.

Tongesteine sind außerordentlich variabel. Abhängig von den Komponenten und „Beimengungen“ können z. B. karbonatische, kieselige, kohlige oder bituminöse (organikreiche) Tonsteine unterschieden werden. Zur letztgenannten Gruppe – meist dunkelgrau- bis schwarzfarben und mit hohen Gehalten organischen Kohlenstoffs – zählen der Posidonienschiefer (Unterjura), der Messeler Ölschiefer (Eozän)7 oder der Kimmeridge Clay („Kimmeridge-Ton“, Oberjura; Abb. 1). Die Gesteine dieser Schichtfolgen werden auch als „Schwarzschiefer“ bezeichnet; es sind keine (echten) Schiefer, sondern Tonsteine.

Makroskopisch sind Tonsteine (bzw. Siltsteine) gefügearm*; deshalb werden sie mitunter als langweilig betrachtet. Bergen sie allerdings Fossilien – insbesondere in sehr guter Erhaltung (z. B. Abb. 4) –, stehen dann häufig diese zunächst im Vordergrund. Nach ihrer Bruch-Charakteristik werden massige, scherbige und dünnplattige Tonsteine (bzw. Siltsteine) unterschieden. Tonsteine mit mehr oder weniger schichtparallelen Ablösungsflächen werden auch als schiefrige Tonsteine oder Schiefertone bezeichnet (analog für Siltsteine, aber weniger gebräuchlich). Eine Feinschichtung (Lamination) ist mit dem bloßen Auge meist noch erkennbar, jedoch nicht weiter auflösbar. Einzelne Partikel sind wegen ihrer Kleinheit i. d. R. nicht erkennbar. So werden zur weiteren Analyse An- und Dünnschliffe hergestellt; neben der Lichtmikroskopie finden auch die Elektronenmikroskopie und die Röntgenmethode Anwendung.8

Die englischen Begriffe „mud“ (Schlamm) und „mudstone“ (wörtlich „Schlammstein“) umfassen die Korngrößen Ton und Silt (< 0,063 mm); diese Klassifizierung ist Grundlage der meisten hier angeführten Arbeiten. Im deutschen Schrifttum hat sich kein übergeordneter Begriff für Ton- und Siltsteine etabliert, wie ihn das englische „mudstone“ darstellt.9 Deshalb werden – abhängig vom Kontext – Ausdrücke wie „Ton (bzw. Silt)“, „Tonstein (bzw. Siltstein)“ oder ähnlich lautende Kombinationen verwendet; eine geringfügige Beeinträchtigung der Leserlichkeit wird in Kauf genommen. Für den englischen Begriff „shale“ wird Schieferton benutzt.10

Akkumulation, akkumuliert: (An)sammlung, (an)gesammelt. Diagenese: Umbildung unverfestigter Sedimente zu festem Gestein. Exposition: Ausgesetztsein gegenüber Umwelteinflüssen. Gefüge: Beschreibende Darstellung der Lage der Gesteinsbestandteile zueinander und im Raum; bei Sedimenten und Sedimentgesteinen Merkmale wie Korngrößenverteilung, Partikelform, Schichtungstypen, Schichtflächen. Petrographie: Beschreibende Gesteinskunde. Suspension: Fein verteilte Festkörper (Partikel) in Wasser oder Luft; oder als Transportart der Partikel.

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Ablagerungsmechanismus von Ton und Silt
Abb. 2: Mechanismen der Tonablagerung (schematisch). A Absatz aus Trübe (Suspension), Niederschlag einzelner Partikel (wellige, vertikale Pfeile); vorherrschende Vorstellung. B Ablagerung in Form von Aggregaten durch Bodenströmung, wie durch Experimente identifiziert (wellige, nahezu horizontale Pfeile). – Sediment: durchgezogene Linien, Schichtflächen: gestrichelte Linien, Laminen(flächen). (Nach Macquaker & Bohacs (2007), ihre Abb. auf Seite 1734. Grafik: F. Meyer)

Vorherrschende Vorstellung

Hinsichtlich des Ablagerungsmechanismus von Ton (bzw. Silt) neigen – laut Macquaker & Bohacs (2007) – Geowissenschaftler zu folgenden Annahmen (Abb. 2A):

(a) Der meiste Tonschlamm (bzw. Siltschlamm) akkumuliert* direkt aus einer Suspension* in der Wassersäule.11

(b) Die Tonablagerung (bzw. Siltablagerung) benötigt ruhige Wasserbedingungen am Boden (niedrig-energetische Konditionen).

(c) Tonsteine (bzw. Siltsteine), die feine, dicht aufeinander folgende, parallele Laminen aufweisen, repräsentieren eine kontinuierliche Ablagerung.

Dabei werde unterstellt, dass feinkörniges Material von Suspensionswolken nahe der Meeresoberfläche (z. B. erzeugt durch Stürme oder Hochwasser) mehr oder weniger kontinuierlich angeliefert wird oder von Trübeströmen, bevor es sich aus der Suspension als individuelle Körner in stillem Wasser absetzt. Dieses Paradigma scheine mit verfügbaren weiteren Daten und mit den wenigen, (makroskopisch) erkennbaren Sedimentstrukturen zusammenzupassen.

Gerinne-Experimente der Indiana University (USA)

Mit dem Science-Artikel Akkretion von Schlammstein-Schichten durch migrierende Flocken-Rippeln (wörtliche Übersetzung) präsentieren Schieber et al. (2007), wie Tonsteine und Siltsteine („Schlammsteine“) entstehen (können). Dem ist vorauszuschicken, dass selbst in modernen, natürlichen Umgebungen dieser Vorgang der Akkumulation* von Ton und Silt („mud“) bislang nicht beobachtet worden war. In einer Umlauf-Gerinneanlage (Abb. 5) haben Schieber et al. (2007) sehr wahrscheinlich den maßgeblichen und universellen Ablagerungsmechanismus von Ton und Silt realitätsnah nachgeahmt und sedimentäre Strukturen erzeugt, wie sie am häufigsten in feinkörnigen Sedimentgesteinen überliefert sind (Details s. Kasten 1).

Abb. 3: Dünnschliff-Scan eines Tonsteins der Kimmeridge-Clay-Formation, senkrecht zur Schichtung. Die Probe besteht aus Komponenten der Silt- und Tonfraktion und enthält eine Rippel (Oberfläche durch schwarze Pfeile markiert). Die Rippel zeigt an, dass das Sediment durch Bodenströmungen abgelagert wurde und nicht durch einen Niederschlag aus Suspension (vgl. Abb. 2). (Aus Macquaker & Bohacs (2007), ihre Abb. auf Seite 1735 der Science-Ausgabe vom 14. Dez. 2007; Abdruck mit Genehmigung von AAAS. Pfeile und Rahmen sind Ergänzungen des Verfassers)

Werden ihre Beobachtungen und Ergebnisse auf das obige Schema (Punkte a-c) übertragen, heißt das (Abb. 2B und 3):

Zu (a): Der Tonschlamm (bzw. Siltschlamm) – hier: Kaolinit-Tonminerale – akkumuliert als Aggregate, Flocken („floccules“), aus bodennahen Strömungen (Bodenfracht). Die Akkretion (Wachstum durch Anlagerung) erfolgt durch migrierende (wandernde) Flocken-Rippeln (Abb. 6 und 8).

Zu (b): Die Sedimentation der Kaolinit-Flocken erfolgt unter schnell bewegenden Strömungen mit Geschwindigkeiten zwischen 10 und 26 cm/s (höher-energetische Konditionen).

Zu (c): Das Sediment hat eine Internstruktur aus leicht stromwärts geneigten Laminen, die nach vollständiger Austrocknung eine quasi lagenparallele Anordnung zeigen (d. h. fossile Sedimentgesteine dieser Entstehungsweise sind nur scheinbar parallel-laminiert).

Mit Reverse-Engineering-Ansatz Ablagerungsmechanismus von
Ton und Silt entschlüsselt.

Schieber et al. (2007) schreiben: „Unsere Beobachtungen unterstützen nicht die Idee, dass Tonschlamme (bzw. Siltschlamme) nur in ruhigen Umgebungen mit nur sporadischen schwachen Strömungen abgelagert werden können (...)“. „Stattdessen“, so heißt es weiter, „findet der Bodentransport des verflockten Schlamms und die Sedimentation bei Strömungsgeschwindigkeiten statt, die auch Sand transportieren und ablagern würden.“ Ihre Ergebnisse schließlich „fordern zu einer Neubewertung aller publizierten Interpretationen von fossilen Tonstein-Folgen (bzw. Siltstein-Folgen) und den daraus abgeleiteten paläoozeanographischen Konditionen.“12,13

Für ihren Reverse-Engineering-Ansatz hatten Schieber et al. (2007) eine neuartige Umlauf-Gerinneanlage konstruiert, die insbesondere die Integrität der Flocken aufrechterhalten kann. Ältere Versuchsanlagen hatten mit Zentrifugen operiert, die die Flocken zerstörten.

In Folgeexperimenten zeigen Schieber und Kollegen, wie weitere Strukturen (s. Kasten 1), die in der sedimentären Überlieferung häufig zu beobachten sind, ebenfalls unter höher-energetischen Bedingungen produziert werden können bzw. entstehen können: linsenförmige Gefüge (Schieber et al. 2010), Silt-laminierte Tonschichten (Yawar & Schieber 2015). Schließlich demonstrieren Schieber et al. (2013), dass auch feinkörnige Karbonatschlamme unter höher-energetischen Bedingungen entstehen können: Es können die gleichen Muster der Flokku­-lation, der Rippelbildung und Lagenakkretion wie bei Tonmineral-Suspensionen beobachtet werden.

Abb. 4: Knochenfisch Caturus sp., Aufsicht auf Bauchseite (von der Unterseite präpariert). Exzellente Erhaltung (s. Flossen und Schuppen). Kimmeridge Clay, Fundjahr 2013 (Fundstück K2059). (© The Etches Collection, Foto: Terry Keenan, freundl. Zurverfügungstellung)

Paradigmenwechsel

Die von Schieber und Kollegen seit 2007 präsentierten Ergebnisse zum Ablagerungsmechanismus von Ton und Silt sind fundamental. „Viele der lange Zeit vertretenen Annahmen über die Ablagerung von Ton und Silt“, so Schieber (2011a), „stimmen nicht mit den physikalischen Realitäten überein.“14 Demnach haben sich die Rahmenbedingungen grundsätzlich geändert. Konsequenterweise spricht Schieber (2011a) von einem Paradigmenwechsel.15

Aber auch ein (neu etabliertes) Paradigma II kann wiederum von einem Paradigma III abgelöst werden. Wichtiger als diese wissenschaftstheoretische Klassifikation ist hier der Sachverhalt, dass die bisherige Grundlage der Interpretation eines Großteils der sedimentären Überlieferung „lediglich“ auf gewissen Annahmen (auch Vorstellungen, Ideen) beruht(e). Diese Interpretationen wiederum führten zu quasi-faktischen Aussagen der Erdgeschichte (vgl. Kotulla 2016). Diese Annahmen aber sind „unstimmig“ (s. o.), mit anderen Worten unrealistisch, und deshalb möglicherweise auch irreleitend.

Mit den Gerinne-Experimenten soll(t)en natürliche Bedingungen nachgestellt (repliziert) werden.16 Dass dies offensichtlich gelungen ist, zeigen die produzierten Sedimentschichten, deren Gefügemerkmale, insbesondere ihre Internstruktur, mit häufig auftretenden Gefügemerkmalen fossiler, feinkörniger Sedimentgesteine übereinstimmen. Als Analogieschluss werden die Laborbedingungen der Entstehung auf diese Gesteine der sedimentären Überlieferung übertragen (Interpretation); wird diesem Analogieschluss gefolgt, sind (umgekehrt) die natürlichen Bedingungen nachgestellt worden.

Im Gegensatz zu den bisherigen „Annahmen“ können nun – auf Basis kontrollierter Experimente zur Sedimentation – durch konkreten Vergleich (Indizien) realitätsnahe Interpretationen versucht werden.

Die Indiana University (Bloomington, USA) verfügt über mehrere Umlauf-Gerinne („racetrack flumes“, Abb. 5). Diese Versuchsanlagen sind speziell für das Studium von Sedimentations- und Erosionsparametern von feinkörnigen Materialien ausgelegt (Korngröße < 0,063 mm) und zur Nachbildung sedimentärer Strukturen, die in feinkörnigen Sedimentgesteinen zu beobachten sind.42

Abb. 5: Labor der Indiana University (USA) mit einer Umlauf-Gerinneanlage, Stand 2007. Auf dem Boden Prof. Juergen Schieber. (Foto/Credit: Indiana University, freundl. Zurverfügungstellung)

Diese Übersicht bezieht sich auf maßgebliche Veröffentlichungen von Juergen Schieber und seinen Kollegen seit 2007.

Abb. 6: Visualisierung von Flocken-Rippeln im Gerinne-Kanal. A Blick von unten (Breite 25 cm, weißer Doppelpfeil), mit Durchlicht von oben. Die Migration erfolgt von rechts nach links (roter Pfeil). B Schrägsicht von oben mit Seitenlicht (dasselbe Experiment wie A). Die Rippeln sind mit einer dünnen Haut von residualem Ton der Suspension drapiert, nachdem der Strom angehalten wurde (roter Pfeil zeigt Strömungsrichtung an). Nachdruck von Fig. 1 aus Schieber & Yawar (2009) in The Sedimentary Record (CC BY-NC 4.0).

Tonsteine und Siltsteine (Schieber et al. 2007)

Die Sedimentation feinkörnigen Materials wird als ein hochkomplexes System betrachtet, das bis zu 32 Variablen und Parameter zur physikochemischen Charakterisierung erfordert.43 Schieber et al. (2007) zufolge ist ein Kernpunkt Flokkulation (Flockenbildung), ein Phänomen, bei welchem eine Anzahl von Parametern wie Sinkgeschwindigkeit, Flockengröße, Korngrößenverteilung, Ionenaustauschverhalten und organischer Gehalt „zusammenkommen“. Die Bildung von Flocken, das Zusammenschließen einzelner Partikel (Körner) zu größeren Aggregaten, erhöhe die Ablagerungsrate feinkörniger Sedimente, und ihr Verständnis sei für die Modellierung des Verhaltens von Ton (bzw. Silt) in sedimentären Umgebungen kritisch.

So zeigten die Gerinne-Experimente, dass sich bei der Zugabe von pulverisiertem Kaolinit-Ton (hier: Material) in das bewegte Wasser des Gerinnes (Konzentrationen von 0,03 bis 2 g/l) am Boden innerhalb von Minuten „Flocken-Streifen“ bildeten. Bei abnehmender Strömungsgeschwindigkeit (beginnend mit 50 cm/s) bis zur vollständigen Sedimentation entstanden unterschiedliche Flocken-Gebilde: individuell migrierende Flocken, Flocken-Rippeln und Felder von Flocken-Rippeln (Abb. 6). Die Flocken hatten eine Größe von etwa 0,1 bis 1 mm (Kornfraktion Fein- und Mittelsand).

Mit pulverisiertem Hämatit wurden jeweils einzelne Sedimentationspulse am Top markiert, um eine produzierte Sedimentlage von etwa 2 cm (unkompaktiert) zu analysieren:44 An der Sedimentoberfläche waren gestreckte Rippeln mit einer Höhe von bis zu 3 cm (ab Boden) und einem Abstand von 30-40 cm (stromabwärts) zu beobachten. Die Internstruktur bestand aus Laminen, die leicht stromabwärts geneigt waren und damit auf eine laterale Anlagerung (Akkretion) der Ton-Flocken hinwiesen. Diese kleindimensionierte Schrägschichtung mit sehr flachen Winkeln habe ein direktes strukturelles Analogon in Sandsteinen, wo sie als Rippen- und Furchenstruktur (auch Schrägschichtungsbogen) bekannt ist (vgl. Abb. 7). Nach vollständiger Austrocknung zeigten die Laminen eine scheinbar lagenparallele Anordnung auf Flächen senkrecht zur Schichtung. Dies könne bei Tonsteinen (bzw. Siltsteinen) fälschlicherweise als Horizontalschichtung interpretiert werden.45

Die Entstehung der Ton-Schichten (hier: Material) durch „migrierende Flocken-Rippeln“ erfolgte je nach Konzentration der bewegten Suspension bei Strömungsgeschwindigkeiten zwischen 10 und 26 cm/s, also bei Strömungsgeschwindigkeiten, die auch Sand transportieren und ablagern.

Abb. 7: Laterale Akkretion, visualisiert durch eingestreute Farbpigmente. Freilegung der Internstruktur des produzierten Sediments durch Ausschälung parallel zur Fließrichtung; Blick von oben. A Die Pigmentmarker verdeutlichen geneigte, nach rechts einfallende Laminen (Schrägschichtungsbögen). Die Anlagerung erfolgte von links nach rechts (roter Pfeil markiert Fließrichtung). B Ausschnitt von A (blaue Markierung). Zwei Sets interner Schrägschichtung: ein unterer Teil mit weißem Ton (Material) und ein oberer rötlicher Teil, der mit dem Pigmentmarker einsetzt. Die Struktur ist identisch mit der Rippen- und Furchenstruktur („rib and furrow“), die von Rippel-schräggeschichteten sandigen Ablagerungen beschrieben wird (siehe auch Strukturen auf Sedimentoberfläche). Nachdruck von Fig. 3 aus Schieber & Yawar (2009) in The Sedimentary Record (CC BY-NC 4.0).

Schiefertone mit linsenförmigen Gefügen (Schieber et al. 2010)

In Experimenten mit der Prozessfolge Sedimentation, Erosion, Transport, Resedimentation und (virtuelle) Kompaktion46 produzierten Schieber et al. (2010) Labor-Tonschlamme (Material: Kaolinit-Ton, Korngröße: < 0,063 mm) mit linsenförmigen Laminationsgefügen. Dabei setzte eine Erosion der abgelagerten Tonschlamme (bzw. Siltschlamme) bei Strömungsgeschwindigkeiten von 16 cm/s ein. Die erodierten, irregulären Tonfragmente formten sich nach wenigen Zehnermetern zu 0,5 bis 2 mm großen kugelförmigen Klümpchen. Durch kurze Geschwindigkeitsstöße (30-35 cm/s) erodierte Fragmente waren größer (5-10 mm), bestanden aus mehreren Materiallagen und besaßen eine spanartige Form. Ablagerungen (Resedimente) dieser Fragmente (Klasten) bestanden aus unterschiedlichen Lagenniveaus des ursprünglichen Sediments. Sie waren schlecht sortiert; die Zwischenräume waren mit Tonflocken verfüllt und die Längsachsen der Klasten waren i. d. R. subhorizontal ausgerichtet. Durch eine (virtuelle) Kompaktion schließlich wurden die Tonklumpen (Klasten) verflacht; sie waren linsenförmig und dünnten lateral aus. Insgesamt resultierte ein linsenförmiges Gefüge.

Das Experiment demonstriere, so Schieber et al. (2010), dass frisch abgelagerter wasserreicher Tonschlamm (bzw. Siltschlamm) – hier mit 70 Gew.-% Wasser – erodiert und als größere Aggregate (Klumpen) transportiert werden kann. Das im Labor produzierte linsenförmige Gefüge repräsentiere ein direktes Gegenstück zu linsenförmiger Lamination in Schiefertonen („shales“) der geologischen Überlieferung. Demnach können solche Gefüge in Tonsteinen (bzw. Siltsteinen), die weit verbreitet sind, als Indizien für Ablagerungen unter höher-energetischen Bedingungen betrachtet werden.47

Silt-laminierte Schiefertone (Yawar & Schieber 2015)

Abb. 8: Bildungen von karbonatischen Flocken im Gerinne-Kanal. A Blick von unten (Breite 25 cm), mit Durchlicht von oben. Bei einer Strömungsgeschwindigkeit von 25 cm/s haben sich erste Flocken-Rippeln aus Karbonatschlamm gebildet (Pfeil zeigt Strömungsrichtung an). B Ausschnitt aus der linken Abb. (schwarzes Rechteck). Linke Bildhälfte mit Anreicherungen von Flocken; sie sind Teil einer migrierenden Rippel. Mittig und rechts individuelle Flocken (Pfeile) mit Größen unter 1 mm. Nachdruck der Fig. 3 (Ausschnitt) aus Schieber et al. (2013), Journal of Sedimentary Research.

Eine Serie von Gerinne-Experimenten mit Gemischen aus Ton (Kaolinit oder Illit, Tonfraktion) und Silt (körniger Quarz: Grobsilt, 0,05 mm; Feinsilt, 0,005 mm) zeigt, dass in der bewegten Suspension und bei der Sedimentation eine Segregation stattfindet. Bei den Versuchen war ein laminierter Tonschlamm (mit gleichmäßig verteiltem Feinsilt) mit Einschaltungen von Grobsilt-Laminen entstanden.48 Demnach wird bei der Flokkulation von Ton Grobsilt nicht integriert, dagegen aber Feinsilt. Die entstandenen Rippeln mit interner Schrägschichtung sind hinsichtlich Größe und Geometrie mit Sandrippeln vergleichbar.

Yawar & Schieber (2015) schließen aus diesen Experimenten, dass grobsilt- und tonreiche Schichtgesteine unter gleichen Strömungskonditionen entstanden sein dürften und ein häufiger Wechsel der Konditionen mit Unterbrechungen – Bewegtwasser/Stillwasser, quasi ein An/Aus-Mechanismus – zur Erklärung nicht angenommen werden muss.49 Bislang sei verteilter Feinsilt (Quarz) in Tonsteinen häufig als Indikation für einen äolischen Input interpretiert worden; der in den Experimenten beobachtete Prozess sei sehr wahrscheinlich eine bessere Erklärung für die Mehrzahl dieser Fälle.50

Feinkörnige Karbonatgesteine (Schieber et al. 2013)

Gerinne-Experimente mit feinkörnigen Karbonat-Partikeln (< 0,063 mm) zeigen, dass Aggregate von Flocken entstehen, die am Boden transportiert werden, dass die Flocken Strömungsrippeln bilden und dass schließlich ein laminiertes Sediment entsteht (Abb. 8). Damit weisen Experimente mit Karbonatmineral-Suspensionen die gleichen Muster der Flokkulation, der Rippelbildung und Lagenakkretion auf wie Tonmineral-Suspensionen (s. o.).
Wie es für Tonschlamme (bzw. Siltschlamme) angenommen wurde, gibt es auch eine seit langem vorherrschende Auffassung, dass die Akkumulation von ergiebigen Karbonatschlammen ruhige Konditionen in Flachmeer- und tieferen Umgebungen widerspiegele. Die Experimente demonstrieren allerdings, dass Karbonatschlamme unter höher-energetischen Bedingungen abgelagert wer-
den können.

So müssten – mit Bezug auf die sedimentäre Überlieferung – Wechsellagerungen von gröberkörnigen Kalksteinen („grainstones“) und feinkörnigen Kalksteinen („lime mudstones“, Mikrite) nicht notwendigerweise einen Wechsel in der Ablagerungsenergie (oder Wassertiefe) widerspiegeln, sondern könnten einen Wechsel in dem bereitgestellten Sedimenttypus bedeuten. Schließlich, so Schieber et al. (2013), würden die Laborbeobachtungen anzeigen, dass die publizierten Interpretationen fossiler feinkörniger Kalksteine und die von ihnen abgeleiteten paläoozeanischen Konditionen einer Neubewertung bedürfen.

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Jurassische Tonstein-Folgen in Großbritannien

Ein Großteil der Formationen, die in Großbritannien dem Jura-System zugerechnet werden, besteht hauptsächlich aus Tonstein-reichen, marinen Sedimentfolgen. Zwei dieser Tonstein-Folgen werden nachfolgend hinsichtlich der Ablagerungsbedingungen bzw. der Ablagerungszeit diskutiert: der Kimmeridge Clay (Kimmeridge-Clay-Formation, Oberjura) und die „Jet-Rock-Tonsteine“ (Whitby-Mudstone-Formation17 innerhalb der Lias-Gruppe, Unterjura). Beide Tonstein-Folgen werden auch als „Schwarzschiefer“ bezeichnet; sie weisen einen hohen organischen Kohlenstoffgehalt auf.

Abb. 9: Ichthyosaurier mit vollem Bauch. Vollständiger Schädel und Körper; möglicherweise eine neue Spezies. Im Bereich des Rippenkorbs Überreste von Fischen und Tintenfischen. Kimmeridge Clay, Fundjahr 2007 (Fundstück K1747). (© The Etches Collection, Foto: Terry Keenan, freundl. Zurverfügungstellung)

Kimmeridge Clay

Der Kimmeridge Clay18 („Kimmeridge-Ton“) ist die am meisten untersuchte Formation in Großbritannien19 und möglicherweise die ökonomisch wertvollste in ganz Europa. Denn die Tonstein-Folge wird aufgrund ihres hohen organischen Anteils (Bitumen, Kerogene) als das Erdölmuttergestein des Nordseeöls angesehen. Während der Kimmeridge Clay an der Küste Südenglands zu Tage tritt (Abb. 1), ist er im Untergrund der Nordsee in Gräben in Tiefen von bis zu über 4000 m anzutreffen. Die Mächtigkeit variiert erheblich; sie beträgt auf dem Festland 250 bis 500 m, örtlich „dramatisch“ ausgedünnt auf 40 m20, und im Untergrund der Nordsee je nach Lokalität bis zu 260, 300 oder 1400 m.21

Morgans-Bell et al. (2001) unterscheiden lithologisch dunkelgraue, teilweise laminierte Schiefertone („shales“), laminierte, dunkelgraue bis schwarze Schiefertone („shales“) mit sehr guter Spaltbarkeit und schwarze Tonsteine („mudstones“), die erst eine Feinlamination mit der Handlupe erkennen lassen.22 Letztere werden auch als „Ölschiefer“ bezeichnet. Daneben treten graue Mergel auf. Untergeordnet sind Coccolithen-Kalksteine und Siltsteine sowie Kalksteine und Dolomite (beide als „Zementsteine“) vertreten; letztere sind während der Diagenese* gebildet worden (karbonatische Imprägnierung). Der organische Gehalt in den Schiefertonen und Tonsteinen, ausgedrückt als organischer Gesamtkohlenstoffgehalt (TOC), ist hoch, variiert aber beträchtlich: TOC-Gehalte von Ø > 6, 8-15, 3-26 und > 35 Gew.-%.23

„Kimmeridge-Tonsteine“: Zahlreiche Indizien für rasche Sedimentation und rasche Sedimentüberdeckung.

Macquaker (2011)24 zeigt anhand von Stichproben (Lokalität Kimmeridge Bay), dass die Ausbildung der im Handstück homogen erscheinenden Schiefertone bzw. Tonsteine im Detail – auf mikroskopischer Ebene – äußerst vielfältig ist. Die Heterogenität bezieht sich auf zahlreiche Gefügeattribute wie Variationen in der Korngröße und der Kornkomposition und strukturelle Merkmale.25 Die Tongesteine sind verbreitet aus sehr dünnen Schichten aufgebaut, die typischerweise weniger als 10 mm dick sind. Diese Schichten haben häufig eine scharfe Untergrenze und sind normal-gradiert (Korngrößenabnahme nach oben). Ihre interne Struktur kann eine Vielfalt von Laminen-Geometrien aufweisen: von eben und parallel bis unterbrochen und wellig (z. B. Anreicherungen von pelletreichen, organo-mineralischen Aggregaten) oder bogenförmig überlappend. Abb. 3 zeigt eine Rippel mit scharfer, bogenförmiger Untergrenze und normaler Gradierung. Teilweise sind Laminen durch Verwühlung (Bioturbation) homogenisiert worden; ist dies der Fall, tritt dies kleindimensioniert am Top der Schichten auf. Des Weiteren treten häufig umgelagerte Tonschlamm-Klasten (Tonfladen) in allen Kornfraktionen von Feinsilt bis Grobkies auf.

Die UNESCO-Welterbestätte „Jura-Küste“51 in England ist um eine Attraktion reicher: Die Etches-Sammlung erhielt im Oktober 2016 in dem kleinen Küstenort Kimmeridge ein permanentes Zuhause – in einem neuen, einzigartigen Museum, dessen Kosten von 5 Millionen Pfund hauptsächlich durch einen Fonds der National Lottery (UK) aufgebracht wurde. Lange Zeit glaubte man, dass der Kimmeridge Clay bezüglich gut erhaltener Fossilien wenig zu bieten habe. Ein Irrtum – wie Steve Etches zeigte. In 35 Jahren hat er über 2000 außergewöhnliche Objekte entdeckt, geborgen, professionell präpariert, gesammelt und erforscht. Nicht wenige Funde waren Neuentdeckungen. Steve Etches ist Installateur in Kimmeridge; so gilt er als Amateur-Sammler und -Paläontologe.

Die Sammlung ist durchweg katalogisiert und online einsehbar (http://www.theetchescollection.org); zu einem Großteil der Objekte sind Fotografien hinterlegt. Die Fossilien werden als Überlieferung der geologischen Langzeit betrachtet, umschrieben mit der Metapher Tiefenzeit (deep time); das Motto: Geschichten der Tiefenzeit („Stories from deep time“).52 Zu dieser Sichtweise siehe Kotulla (2016).

Abb. 10: Das neue Museum of Jurassic Marine Life in Kimmeridge (England) mit der einzigartigen Fossiliensammlung von Steve Etches. (Foto: M. Kotulla, 2016)

Die Summe der Gefügemerkmale, so Macquaker (2011), zeige ein dynamisches Sedimentationssystem an: Das meiste feinkörnige Material sei durch Ströme in waagerechter Richtung (advektiv) transportiert worden; als Bodenfracht (s. o.) und durch Gravitationsströme oder als verflüssigter Schlamm. Die Schichten mit organisch-mineralischen Aggregaten werden als „marine Schnee-Aggregate“ interpretiert, die sich rasch aus einer Suspensionswolke vertikal absetzten und am Boden durch advektive Strömungen aufgearbeitet oder (durch nachfolgendes Material) begraben wurden. Die untersuchten Laminen seien keine Warven26 (Jahresschichten).27

Abb. 11: Tintenfisch Belemnotheutis sp. Komplettes Exemplar; Fangarme mit Häkchen zur Ergreifung der Beute (links) und Tintenbeutel (rechts) mit getrockneter Tinte (schwarz). Fossile Tintenfisch-Tinte ist von heutiger („moderner“) Tintenfisch-Tinte nicht unterscheidbar53; die Eumelanine (Pigmente) sind erhalten geblieben. Die fossile, getrocknete Tinte lässt sich leicht verflüssigen und ist mehrfach schon wie normale Tinte zum Schreiben und Zeichnen verwendet worden. Kimmeridge Clay. (© The Etches Collection, Foto: Terry Keenan, freundl. Zurverfügungstellung)

Die aufgeführten Beobachtungen und Interpretationen stehen damit im Gegensatz zu der herkömmlichen Auffassung eines „Schwarzschiefer“-Stillwasser-Sedimentationsraumes28: a) Sedimentation (Einzelkorn-Niederschlag aus Suspension) unter kontinuierlich niedrig-energetischen Bedingungen; b) Vorherrschen vorwiegend sauerstofffreier (anoxischer) Bedingungen am Meeresboden (euxinisches Milieu); und im Besonderen: c) Laminen (hier: Coccolithen-Kalksteine) repräsentieren Jahresschichten.29

Abb. 12: Dünnschliff-Scans der „Jet Rock-Tonsteine“ (Port Mulgrave, Yorkshire, England; Unterjura). Maßstab entspricht 1 cm. Die Pfeile deuten auf Gefügemerkmale wie scharfe Schichtuntergrenzen sowie dünne Siltlagen (hellere Feinlaminen). Sie zeigen Ablagerung und Erosion durch Bodenströmungen an. Die Beobachtung und Erkenntnis ist nicht neu: Bereits Sorby (1908) hatte die laminare Struktur dieser Tonsteine der Wirkung von Strömungen zugeschrieben. (Aus: Trabucho-Alexandre (2015), seine Fig. 6; freundliche Freistellung, http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)

Unter höher-energetischen Bedingungen, u. a. oxischen Bedingungen in der Wassersäule und am Meeresboden, muss angenommen werden, dass das organische Material, hauptsächlich Phytoplankton, i) rasch zum Meeresboden transportiert und ii) rasch von neuem Sediment überdeckt worden war. Denn diese beiden Prozesse limitieren die Expositionszeit* gegenüber Oxidanzien (hier: Sauerstoff und Sulfate).30 Ein weiteres Indiz für eine rasche Sedimentüberdeckung ist die teilweise exzellente Erhaltung der (Makro-) Fossilien (Abb. 4, 9, 11 und 13), mitunter mit Körper- bzw. Gehäusedimensionen (flachliegend) von über 10 cm Höhe (siehe hierzu auch nächster Abschnitt). Sedimentationsunterbrechungen können häufig nur von kurzer Dauer gewesen sein. Die nicht so häufig auftretende Sedimentverwühlung ist recht kleindimensioniert, sie kann auch noch geschehen bzw. fortgesetzt worden sein, nachdem eine neuerliche Sedimentüberdeckung bereits erfolgt war, möglicherweise bis zum Aufbrauchen des Sauerstoffs. Eine substanzielle Kolonisation des Meeresbodens wurde wahrscheinlich nicht durch mutmaßliche anoxische Bedingungen verhindert, sondern durch die Unwirtlichkeit rascher Sedimentationsereignisse.31

„Jet-Rock-Tonsteine“

Mehr Lücken als Tonstein. – Dies ist die Schlussfolgerung von Trabucho-Alexandre (2015), der auf unterschiedliche Weise hergeleitete Zeitspannen für die Sedimentfolge der „Jet-Rock-Tonsteine“ zu geologisch-sedimentologischen Zeitindikationen in Beziehung setzt. Die „Jet-Rock-Tonsteine“ (Jet Rock shales; Yorkshire, England) sollen zeitgleich mit dem Posidonienschiefer (Süddeutschland, Nordschweiz) abgelagert worden sein. Die 7,53 m mächtige Sedimentfolge (Lokalität Hawsker Bottoms32, nähe Whilby) besteht hauptsächlich aus feinlaminierten, braunschwarzen und bituminösen Tonsteinen mit Bändern von kalkigen und pyritischen Konkretionen (Hallam 1967).

Der Einheit der „Jet-Rock-Tonsteine“ wird genau eine Ammoniten-Subzone (Cleviceras exaratum) zugeordnet. Auf Basis der radiometrischen Eichung beträgt die Dauer dieser Subzone der Toarcium-Stufe ca. 0,54 Millionen [radiometrische] Jahre (alle Subzonen mit gleicher Dauer) oder 1,08 Millionen [radiometrische] Jahre (Subzonen mit ungleicher Dauer)33. Die Feinlaminen sind etwa 0,05 mm dick; Hallam (1967, 433) interpretiert sie als Jahreslagen (Warvierung). Wird dies auf die gesamte Tonsteinfolge übertragen, ergibt dies rechnerisch eine Dauer von 0,15 Millionen [Warven-] Jahre. Nach zyklostratigraphischer Interpretation34 werden für die ca. 9 m mächtige Abfolge (inklusive etwa 1,5 m Tonsteine des Liegenden) Zeitspannen von 0,30 bzw. 0,90 Millionen [radiometrische] Jahre ausgewiesen.35

Die radiometrischen Werte implizieren eine durchschnittliche Sedimentationsrate von etwa 3,5 bis 15 cm/1000 [radiometrische] Jahre (eine Komprimierung des Sediments um Faktor 5 einbezogen). Trabucho-Alexandre (2015) lässt an dieser Stelle eine andere Größe in die Betrachtung einfließen: die Notwendigkeit einer raschen Sedimentüberdeckung und -konservierung von Ammonitengehäusen. Denn es sei sehr schwierig zu akzeptieren, dass eine Schale aus Aragonit36 Hunderte Jahre am Boden freiliegen könne, ohne von Epifauna überwachsen oder gänzlich aufgelöst zu werden. Mit einer angenommenen Sedimentationsrate von 2 cm/Jahr (analog Golf von Papua37), die einen am Boden horizontal liegenden Ammoniten „relativ rasch“ begraben würde, kommt Trabucho-Alexandre (2015) zu dem Schluss, dass die gesamte Abfolge der „Jet-Rock-Tonsteine“ weniger als 2000 Jahre an Sedimentation(szeit) repräsentieren könnte38 (Komprimierung auf 20 % berücksichtigt) – und demzufolge die meiste Zeit in Schichtflächen und Erosionsflächen sowie durch Nicht-Sedimentation überliefert sei. Bezogen auf die zuvor genannten Zeitspannen – und von den Bearbeitern implizit als Kalenderjahre verstanden – würde dies bedeuten, dass auf Basis seiner Konstellation und Annahme 0,2 bis 1,3 %39 der Zeit durch Sedimente bzw. Sedimentation repräsentiert ist.

Abb. 13: Cluster kugelförmiger Objekte, als Ammoniten-Eier interpretiert (Etches et al. 2009). Fundstück K1654, Durchmesser der Objekte 1,0 bis 2,3 mm. Kimmeridge Clay. (© The Etches Collection, Foto: Terry Keenan, freundl. Zurverfügungstellung)
„Jet-Rock-Tonsteine“: Vorgegebener Langzeitrahmen für Bildung der Ablagerungen nicht plausibel.

Die aufgeworfenen Fragen allerdings gilt es stringent weiterzuverfolgen. Die Interpretation der Feinlaminen als Jahreslagen ist mit dem sedimentologischen Befund nicht vereinbar. Die geologisch-sedimentologische Zeitindikation einer raschen Einbettung gilt auch für größere Ammoniten-Exemplare mit Dicken > 10 cm. Wie die Dünnschliff-Scans zeigen (Abb. 12) und Trabucho-Alexandre (2015) auch entsprechend interpretiert, handelt es sich nicht um einen kontinuierlichen (langsamen) Partikel-Niederschlag; die Sedimentstrukturen legen eine rasche Ablagerung und eine teilweise Erosion und Aufarbeitung durch Bodenströmungen nahe (s. o.). Wahrscheinlich handelt es sich um eine Folge von Sedimentationspulsen mit Aggregat-Korngrößen der Feinsand- und Mittelsandfraktion und Spitzenakkumulationsraten in der Größenordnung von Millimetern in Minuten. Die offensichtlichen Sedimentationsunterbrechungen (Abb. 12) sind vermutlich zeitlich von sehr untergeordneter Dimension; sie mögen durch schnell-variierende Geschwindigkeitswechsel der Bodenströmungen (Erosion oder Gleichgewicht, d. h. keine Sedimentation und keine Erosion) hervorgerufen worden sein.

So interpretiert, mit einer angenommenen durchschnittlichen Sedimentationsrate von 2 cm/Stunde, könnte die reine Sedimentationszeit 0,2 Jahre betragen haben. Es wäre zu überprüfen, ob gravierende Sedimentationsunterbrechungen vorliegen und ob für diese Zeitindikationen ermittelt werden können. Die Schichten mit karbonatischen Konkretionen werden als solche (s. o.) aufgefasst40; sie können aber auch als diagenetische Bildungen interpretiert werden. Unter dieser Konstellation und Annahme wäre nur ein Anteil von 0,000023 bis 0,00015 % der radiometrischen (geologischen) Zeit durch Sedimente bzw. Sedimentation repräsentiert. Im Gegensatz zu Trabucho-Alexandre (2015), der ausschließlich folgert, dass ein Großteil der Zeit in Schichtflächen und Erosionsflächen sowie durch Nicht-Sedimentation überliefert sei, könnte vielmehr gefolgert werden, dass der vorgegebene (radiometrisch geeichte) Langzeit-Rahmen nicht plausibel ist.

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Ausblick

Feinkörnige Sedimentgesteine sind bezogen auf ihre häufig vorhandenen (Mikro-)Gefüge außerordentlich vielfältig. Bislang ist nur ein Teil dieser Gefügewelt, der aber bedeutend ist, im Labor nachgebildet worden. Es ist fraglich, ob eine vollumfängliche Nachbildung jemals möglich sein wird. Andererseits hat, so Schieber (2011b, 20), die ernsthafte sedimentologische Erforschung von Schiefertonen („shales“) gerade erst begonnen, und sie werde – verglichen mit der Erforschung von Sandsteinen und Karbonatgesteinen – einige Dekaden ausdauernder Anstrengung benötigen.

In Verbindung mit der Science-Publikation machte Juergen Schieber (Indiana University) 2007 eine Voraussage: „Eine Sache, über die wir uns sehr sicher sind, ist, dass unsere Ergebnisse Einfluss darauf haben werden, wie Geologen und Paläontologen die Vergangenheit der Erde rekonstruieren.“41 So gilt ist es (weiterhin) zu hoffen, dass in der Tat der Versuch einer Rekonstruktion unternommen wird, der sich – mit einer klaren Trennung von Daten und Interpretation – differenziert zum konstruierten geologischen Weltbild verhält (vgl. Kotulla 2016).

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Literatur

Etches S, Clarke J & Callomon J (2009)
Ammonite eggs and ammonitellae from the Kimmeridge Clay Formation (Upper Jurassic) of Dorset, England. Lethaia 42, 204-217.
Hallam A (1967)
An environmental study of the Upper Domerian and Lower Toarcian in Great Britain. Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Series B 252, 393-445.
Indiana University (2007)
As waters clear, scientists seek to end a muddy debate. Pressemitteilung vom 10. Dezember 2007.
Kotulla M (2016)
Erdgeschichte als Tatsache. Studium Integrale Journal 23, 83-93.
MacQuaker J (2011)
Stratigraphic aspects of tight shales. In: McLennan J (ed.) Evolution of the mental picture of tight shales. Monograph, First Shale Science Conference 2011; Warschau.
MacQuaker J & Bohacs KM (2007)
On the accumulation of mud. Science 318, 1734-1735.
Morgans-Bell HS, Coe AL, Hesselbo SP, Jenkyns HC, Weedon GP, Marshall JEA, Tyson RV & Williams CJ (2001)
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Schieber J (2011a)
Reverse engineering mother nature – Shale sedimentology from an experimental perspective. Sedimentary Geology 238, 1-22.
Schieber J (2011b)
Shifting paradigms in shale sedimentology – The implications of recent flume studies for interpreting shale fabrics and depositional environments. Abstract 2011 CSPG SSEG CWLS Convention, 1-4.
Schieber J & Southard J (2009)
Bedload transport of mud by flocule ripples – direct observation of ripple migration processes and their implications. Geology 37, 483-486.
Schieber J, Southard JB, Kissling P, Rossmann B & Ginsburg R (2013)
Experimental deposition of carbonate mud from moving suspensions: importance of flocculation and implications for modern and ancient carbonate mud deposition. Journal of Sedimentary Research 83, 1025-1031.
Schieber J, Southard J & Schimmelmann A (2010)
Lenticular Shale Fabrics Resulting from Intermittent Erosion of Muddy Sediments – Comparing Observations from Flume Experiments to the Rock Record. Journal of Sedimentary Research 80, 119-128.
Schieber J, Southard J & Thaisen K (2007)
Accretion of mudstone beds from migrating floccule ripples. Science 318, 1760-1763.
Schieber J & Yawar Z (2009)
A new twist on mud deposition – Mud ripples in experiment and rock record. The Sedimentary Record 7, 4-8.
Sorby HC (1908)
On the application of quantitative methods to the study of the structure and history of rocks. Quarterly Journal of the Geological Society of London 64, 171-232.
Trabucho-Alexandre J (2015)
More gaps than shale: erosion of mud and its effect on preserved geochemical and palaeobiological signals. Geological Society, London, Special Publications 404, 251-270.
Yawar Z & Schieber J (2015)
Flume studies with graded quartz and mixtures of quartz, kaolinite and illite – Implications for silt laminated shales in the rock record. Adapted from oral presentation, AAPG Annual Convention & Ehibition 2015. Search and Discovery Article #51141.


Studium Integrale Journal 24. Jg. Heft 2 - Oktober 2017